piwik no script img

Reformer ohne Mehrheit und Mikrofon

Die Geschlagenen von Gera wollten einst mit Gerhard Schröder regieren. Jetzt haben sie nicht einmal mehr überregionale Strukturen

GERA taz ■ Die ausgezogen waren, die PDS Politikfähigkeit und Regierungsverantwortung zu lehren, hatten am Ende nicht einmal mehr ein Mikrofon. Außerhalb des Saales, zwischen ND-Büchertisch und Würstchenbude, drängten sich am Samstag um 20.51 Uhr in einer zugigen Ecke die Verlierer des Parteitags stehend umeinander.

Die Geschlagenen von Gera sind eine illustre Schar, auch wenn sie nach dem Moment ihrer Niederlage plötzlich aller Attribute von Macht und Einfluss entkleidet waren: vier Landesvorsitzende, drei Fraktionschefs, zwei stellvertretende Regierungschefs, die Leiterin einer Fraktion im Europaparlament, ehemalige und zukünftige Bundestagsabgeordnete, dazu Senatoren aus Berlin und Minister aus Mecklenburg – besiegt, nein marginalisiert von einer Vorsitzenden, die keiner intellektuell wirklich für voll genommen hatte. Und wie total war der Triumph der spröden Zimmer über die Dietmar Bartschs, die Helmut Holters, die Harald Wolfs und all die anderen Strategen, Strippenzieher und Schlaumeier. Ihren Leitantrag hatten sie zugunsten eines Kompromisspapiers zurückgezogen, der Zimmer-Antipode Bartsch schwieg, um kein Öl ins Feuer zu gießen – alles vergeblich. Die Delegierten wollten Zimmer pur und stimmten für ihr Konzept der „gestaltenden Opposition“, für den Gefühlssozialismus, den die Reformer für einen großen Humbug halten.

Um eine halbe Stunde „Zeit zur Besinnung für uns Unterlegene“ hatte Petra Pau gebeten, fast schon gefleht. Und selbst diese demokratische Selbstverständlichkeit verwehrte eine im Siegesrausch rücksichtslos gewordene Delegiertenmehrheit ihrer abgemeierten Avantgarde, die fassungs- und tatenlos zuschaute. Es war dann die 22-jährige Delegierte Katja Haese aus Berlin, die in einem spontanen Akt des Widerstandes („Wir gehen jetzt einfach“) die Reformer doch noch aus dem Saal führte.

Dort musste sich Dietmar Bartsch, der gescheiterte Bundesgeschäftsführer mit Ambitionen auf den Vorsitz, der einen ganzen Parteitag lang geschwiegen hatte, gegen ein unruhiges Grundmurmeln heiser schreien: „Ich bin auf diese Situation nicht eingestellt“, bekannte er seine Verwirrung. Und: „Selbstverständlichkeit, dass ich nicht mehr antrete.“ Es reichte nur noch zu Keine-Panik-Parolen: „Nerven behalten, ruhig analysieren, in der Partei bleiben.“ Die Aufgabe, wenigstens für Vorstandsposten eine Mehrheit zu organisieren, delegierte Bartsch an die reformorientierten Landesvorsitzenden. Ein funktionierendes Reformlager auf Bundesebene gibt es nicht mehr. Petra Pau schlug spontan die Gründung einer „Plattform“ vor. Die Menschen, die vor wenigen Wochen noch mit Gerhard Schröder auf Augenhöhe verhandeln wollten, müssen sich jetzt wie innerparteiliche Sekten organisieren.

Selbst schuld: Die Reformer waren sich nicht einig. Bartsch arbeitete gerade am letzten Schliff seiner Bewerbungsrede, als der Exvorsitzende der Bundestagsfraktion, Roland Claus, völlig überraschend und ohne nur einen einzigen Menschen vorher informiert zu haben, doch noch seine Kandidatur erklärte. Claus holte sich eine demütigende 24-Prozent-Klatsche, Bartsch brauchte gar nicht mehr anzutreten.

Auch die Moral der Reformer zerbröselte regelrecht. Claus kettenrauchend, tief deprimiert, mit einer weinerlichen Bewerbungsrede („Ich gehe ja auch davon aus, dass Gabi gewinnt“). Bartsch mit Galgenhumor: „Komm, war ’ne schöne Zeit. Wir haben die zwölf Jahre geärgert.“ Die Zeiten, in denen Bartsch als Geschäftsführer aus dem PDS-Hauptquartier Karl-Liebknecht-Haus Politik mit dem Spiegel auch gegen die eigene Vorsitzende machte, sind jedenfalls vorbei. Mit Blick auf Zimmers Stellvertreter Dieter Dehm analysierte Bartsch gallig: „Die eigentlichen Träger dieser Veranstaltung sind ehemalige Sozialdemokraten. Die sind bei denen im Westen immer abgeschifft. Aber uns Trottel, die wir sooo demokratisch organisiert sind, stecken die in den Sack.“

ROBIN ALEXANDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen