Bagdad wartet auf die Bomben

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Mühevoll kämpft sich der verbeulte Fiat mit dem irakischen Militärkennzeichen in der Stoßzeit durch die verstopften Straßen Bagdads. Auf den Vordersitzen zwei irakische Armeeoffiziere in ihren olivgrünen Uniformen, die von ihrem Einsatz an der Einkaufsfront an einem der Straßenmärkte der Stadt zurückkehren. Im hinteren Teil des Wagens haben ihre dicklichen Ehefrauen Platz genommen, umrahmt von Einkaufstüten.

Allenfalls in solchen Szenen zeigt das Militär Präsenz in der irakischen Hauptstadt. Es rollen keine Panzer durch die Straßen, nicht mal Armeelastwagen oder Jeeps. Nirgends sind Sandsäcke aufgeschichtet, kein Fenster ist mit Klebeband gegen den Luftdruck von Explosionen abgesichert. Bagdad wirkt nicht wie eine Stadt im Angesicht des Krieges. Nichts deutet darauf hin, dass bald wieder Bomber den Himmel über der Stadt beherrschen könnten.

Nur außerhalb, so wird in der Stadt erzählt, laufen die Vorbereitungen. Etwa an einem See am Stadtrand, der am arbeitsfreien Freitag ein beliebtes Ausflugsziel der Bagdader ist. Vor kurzem hat das Militär den See und dessen Umgebung zur geschlossenen Zone erklärt: In der Nähe liegt eine Luftwaffenbasis.

Der drohende Krieg ist wichtigstes Gesprächsthema. Die irakischen Medien verbreiten gefilterte Informationen und rufen zum heroischen Widerstand unter Saddam Hussein auf. Satellitenschüsseln und der Empfang ausländischer Fernsehstationen sind verboten. Selbst ägyptische, libanesische und saudische Zeitungen sind nicht mal auf dem freitäglichen Schwarzmarkt in der Mutanabeh-Straße zu haben. Auf die Frage, ob er einige ältere Exemplare hat, schüttelt ein Händler nur kurz den Kopf. Hatte die Regierung früher gelegentlich ein Auge beim Zeitungsschmuggel zugedrückt, setzt sie jetzt alles daran, die Informationen von außen zu kontrollieren. Nur nachts, wenn der Mittelwellenempfang an den Radiogeräten klarer wird, hören viele Bagdader ausländische arabischsprachige Radiostationen wie die britische BBC oder Radio Monte Carlo. Der Rest ist eine Frage der mündlichen Überlieferung zwischen Freunden und Nachbarn.

Ein Filetstück für US-Bomber

Die Nachrichten von außen fließen dann mit der persönlichen Situation jedes Bagdaders zusammen, daraus entstehen individuelle Sorgen. So ist es auch bei Abu Ahmad. Der Beamte Ende zwanzig hat in den letzten Jahren mit Ersparnissen und Geld von den Eltern ein Zuhause für seine Frau und seine dreijährige Tochter gebaut. Das ist sein Pech. Vor wenigen Wochen wurde ein Kommunikationstower in der Nähe seines Hauses errichtet, ein Filetstück für US-Bomber. Ausgerechnet im Dezember soll Abu Ahmads Frau ihr nächstes Kind gebären, aber genau in dieser Zeit rechnet der Mann mit dem Kriegsbeginn. Abu Ahmad plant nicht, das eigene Haus zu verlassen. Wohin sollen sie auch? Er deutet auf seine Stirn. „Hier steht mein Schicksal von Gott ohnehin geschrieben.“ Dann deutet er auf seine Augen: „Damit werde ich mein Schicksal erleben, ob ich will oder nicht.“

Fatalismus ist auch bei Abu Muhammad und seiner Frau Farida zu spüren. Die beiden leben mit ihren drei Söhnen in einem Viertel, in dem die sunnitische Mittelklasse das verwaltet, was ihr nach fast zwölf Jahren UN-Sanktionen geblieben ist. Anders als 1998, als die Amerikaner das letzte Mal bombardiert hatten, legt die Familie diesmal die Hände in den Schoß. Damals hatten sie wie alle Nachbarn Kochgas, Öl, Zucker, Mehl und Benzin fürs Auto gehortet. Bisher, erzählen sie, habe niemand in der Straße begonnen, im großen Stil haltbare Lebensmittel zu kaufen, obwohl fast alle glauben, dass der Krieg kommt. „Wir sind nachlässig geworden“, sagt Abu Muhammad. Wann, wo und wie die Amerikaner losschlagen, wisse ohnehin niemand. „Und selbst wenn wir planen könnten, was sollen wir tun, einen Bunker in unserem Garten graben?“, fragt Farida. Immerhin sind die Kinder vorbereitet. Beim letzten Bombardement hatten sie ihnen noch erzählt, draußen tobe nur ein Gewitter, sie bräuchten keine Angst zu haben. Jetzt sind die vier-, sechs- und achtjährigen Söhne alt genug um, die Wahrheit zu erfahren. Abu Muhammads Familie ist ein Überbleibsel der irakischen Mittelschicht und kann sich seit Jahren mehr schlecht als recht versorgen. Andere Iraker stehen nicht vor der Wahl, wann und wo sie Nahrungsmittel horten sollen.

Ein UN-Mitarbeiter in Bagdad, der anonym bleiben möchte, fürchtet, dass die Lage für viele Familien noch verheerender werden könnte als beim letzten Golfkrieg, vor allem, falls ein erneuter Krieg länger dauern sollte. Nach zwölf Jahren UN-Sanktionen sei weit über die Hälfte der Familien von Essenrationen abhängig, die aus dem UN-Programm Öl für Nahrungsmittel stammen. Während des ersten Golfkriegs hätten viele noch Geld zurückgelegt, erzählt der UN-Mitarbeiter. Die Rücklagen seien heute aber meist aufgezehrt. „Die meisten irakischen Haushalte sind heute schlechter auf eine ernsthafte Krise vorbereitet als vor dem letzten Golfkrieg.“

Lungen- oder Lymphkrebs

Sowohl Abu Ahmad als auch Abu Muhammad und seine Frau Farida hoffen, dass sich ein US-Angriff nur gegen das Regime und nicht wieder gegen die gesamte Infrastruktur richtet. Egal ob sie offen für Saddam oder versteckt gegen ihn sind – alle habe Angst vor dem, was passieren könnte, wenn der Diktator nicht mehr existiert. Sie malen sich ein blutiges Chaos aus. Viele Iraker haben Rechnungen zu begleichen, etwa mit Nachbarn, die sie beim Geheimdienst verpfiffen haben. Dazu kommt, dass das Land ethnisch und religiös zersplittert ist und Sunniten, Schiiten und Kurden aufeinander losgehen könnten.

Gerade Bagdads besser gestellte Sunniten fürchten, dass die verarmte schiitische Mehrheit über sie herfallen würde. Als es nach dem letzten Golfkrieg 1991 im Süden des Landes zu einem schiitischen Aufstand kam, starben dort viele Sunniten, egal ob sie regimetreu waren oder nicht. In den schiitischen Armenvierteln im Norden Bagdads, so heißt es jetzt, warteten die Menschen darauf, sich nach einem Militärschlag ihren Anteil zu holen. Direkt neben Abu Muhammads Haus befindet sich ein schiitisches Viertel, nur getrennt von einer Brücke über den Tigris. Zu Hause hat die Familie schon diskutiert, ob sie sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe besorgen soll. Ausländische Diplomaten bestätigen, viele Einwohner Bagdads hätten sich bereits illegal Waffen für das Chaos einer Post-Saddam-Zeit gekauft. An die große demokratische Befreiung durch die Amerikaner glaubt kaum jemand. „Es ist das gleiche Gefühl bei allen Irakern“, sagt Abu Muhammad, „alle wissen, dass die USA diesen Krieg nicht führen werden, um den Menschen in diesem Land ihre Menschenrechte und Demokratie zu bescheren. Denen geht es nur ums Öl und um die Absicherung Israels.“ Er glaubt, dass die Amerikaner nicht einen Zivilisten, sondern einen Militär an Saddams Stelle setzen, um das Land zusammenzuhalten. Am Ende, fürchtet Muhammad, werde nur Lungenkrebs gegen Lymphkrebs ausgetauscht. „Das Beste, was wir erwarten können, ist eine Flitterwochenzeit von ein bis zwei Jahren, in der die Infrastruktur repariert, Satellitenschüsseln auf die Dächer montiert und mobile Telefonnetze aufgebaut werden.“ Von Reformen wagt er nicht zu träumen. So bleibt Abu Muhammad hin- und hergerissen. So mancher Iraker, sagt er, könnte es heimlich gar nicht erwarten, Saddam loszuwerden, aber fast alle sind dagegen, dass stattdessen ein amerikanisches Marionettenregime US-Firmen eine Lizenz erteilt, billig die Ressourcen des Landes auszubeuten. Die benachbarten Golfmonarchien dienen den Irakern als warnendes Beispiel.

So viel die Einwohner Bagdads auch spekulieren: Im Moment übt noch Saddam Hussein die Macht aus und kann sich mit dem gestern veranstalteten Referendum inszenieren. Die Bagdader harren besorgt der Dinge: „Wir fühlen uns, als ob wir auf der Intensivstation liegen und der Doktor uns gerade erzählt hat, dass erst in zwei Tagen ein Platz im Operationssaal frei werden wird und dass der Ausgang des Eingriffs gefährlich und ungewiss ist.“