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Sturm und Drang

Der Sänger fiel in die Schlagzeugbatterie, doch die Songs verfehlten ekstatische Höhen: Die australische, von „Face“ gepriesene Band The Vines spielte im Maria am Ufer

Wer heutzutage eine Rockband gründet, sollte aus New York kommen, das wäre schon von Vorteil, denn New York gilt seit dem Durchmarsch der Strokes bekanntlich als das Epizentrum der Rockwelt. Wer nun aber nicht aus New York kommt, sollte diesen Mangel wenigstens dadurch kompensieren, dass er sich einen kurzen, knackigen, einprägsamen Bandnamen zulegt und davor unbedingt ein „The“ hängt. So wie The Please, The Coral, The D4, The Rapture, The Toes, The Datsuns, The Rocks, The Beatnings, The Libertines. Allesamt Bands, die zwar noch kein Mensch kennt, die aber von Face zu den Rockhoffnungen der nahen Zukunft auserkoren wurden. Mitten unter ihnen: The Vines, denen attestiert wird: „They rock like: Supergrass, Nirvana and The Kinks.“

Nun unterscheiden sich The Vines natürlich von einer Band wie etwa The Please dadurch, dass sie bisher nicht nur in englischen Hipster-Gazetten vorgestellt wurden, sondern seit ihrem Debütalbum „Highly Evolved“ auch hierzulande als eine der Rockentdeckungen des Jahres gefeiert werden. Dass sie dann aber gleich das Maria am Ufer füllten, lag sicherlich zum Teil daran, dass kurzfristig eine Konkurrenzveranstaltung abgesagt wurde. Die Berufsseufzer von Sigur Ros blieben im Zoll an der tschechischen Grenze hängen, ihr Konzert in der bestuhlten „Arena“ musste ausfallen, und so haben sicherlich einige noch schnell umdisponiert.

Um dann eine Band zu erleben, die von ihrem Sänger, dem 21 Jahre alten Craig Nicholls, dominiert wurde. Wäre dieser nun doch in New York aufgewachsen und zufällig bei den Strokes gelandet, hätten diese bestimmt per Losverfahren zwischen Julian Casablancas und Nicholls entscheiden lassen müssen, wer den Job an vorderster Front zu übernehmen habe. Was Frisur, Aura und Teenspirit angeht, stand Nicholls in nichts Casablancas nach. Wie er sich da auf der Bühne selbst verzehrte, wie in Ekstase seine Balladen in stimmlichen Zuckerguss einschmolz und am Ende des Konzerts, wie aus einer Hypnose erwacht, in die Schlagzeugbatterie fiel, das war schon das, was man von einem jungen Mann in der Sturm-und-Drang-Phase sehen wollte.

Das Konzert war gut, aber nicht berauschend. Die Songs waren weder so catchy wie die der Strokes, noch steigerten sie sich in ekstatische Höhen, bei denen eine Halle zu brennen beginnt. Der Gitarrenroadie am Bühnenrand nervte, indem er dauernd eine sich abzeichnende Unordnung on stage beendete, und irgendwie kam man sich, auch was die Dresscodes im Publikum anging, doch wieder arg wie in überwunden geglaubten, seligen Grunge-Zeiten vor. Wäre ja alles nicht schlimm, wenn verschüttetes Bier auf engen Jeans nicht so eklig kleben würde.

ANDREAS HARTMANN

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