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Klangwinde in den Spalten der Musik

Der Diener, der Fürst, seine Frau und ihr Liebhaber: Die Zeitgenössische Oper zeigt „Luci mie traditrici“, eine Oper Salvatore Sciarrinos, bei den Berliner Festwochen. Sciarrino komponiert Musik, deren Substanz im Lauf der Jahrhunderte verwittert ist

von BJÖRN GOTTSTEIN

Man nimmt nichts vorweg, wenn man die drei kurzen Zwischenspiele zu den schönsten Stellen dieser Oper erklärt. Gleich nach der zweiten Szene braust das Ensemble durch einen berauschenden Satz, der an die Tonkunst der Renaissance erinnert und der wie eine blasse Erinnerung an die tiefe Vergangenheit vorüberhuscht.

Später, wenn das Zwischenspiel ein drittes Mal einsetzt, hat diese ohnehin blasse Erinnerung vollends an Farbe verloren. Der bereits angeschlagene Klang zerfällt: Die Streicher säuseln, die Bläser fauchen, das Schlagwerk ächzt. Was bleibt, ist Rauschen und ein eisiger Klangwind, der spielerisch, ja tänzerisch, durch die Spalten der marode gewordenen Musik weht.

Früher, im akustischen Labor, da hat man Musik gefiltert. Man wollte sehen, was geschieht, wenn man zum Beispiel Mozart auf seinen Wellenkamm reduziert. Und siehe da: Wo man fast das gesamte Klangspektrum abschnitt und nur die allerhöchsten Höhen stehen ließ, begann der Rest, ein hohes, farbiges Rauschen, plötzlich zu tanzen. Ganz leicht und völlig gespenstisch.

Es ist dieser Klang, ein gespenstisch tanzendes Rauschen, den Salvatore Sciarrino immer und immer wieder komponiert. Seine Musik ist alte Musik, deren Substanz im Lauf der Jahrhunderte verwittert ist. Auch in seiner 1998 entstandenen Oper „Luci mie traditrici“ („Meine verräterischen Augen“) hat die Zeit die Musik bereits zersetzt.

Die Oper beruht auf dem Stück „Die tödliche Blume“, das wiederum auf einer Geschichte, die sich vor etwa vierhundert Jahren ereignet hat. Fürst Don Carlo Gesualdo, der übrigens zu den größten und wagemutigsten Komponisten seiner Zeit gehörte, ertappt seine Frau mit ihrem Liebhaber. Er begeht einen Doppelmord. „Es geschieht wenig, fast nichts“, kommentiert Sciarrino die Handlung lapidar. Und das trifft zwangsläufig auch auf die Musik zu. Denn vor den starren Szenen zwischen Fürst und Frau, Liebhaber und Diener kann echte Dramatik nicht entstehen.

Wenn Sciarrino darüber hinaus erklärt, das Stück sei „Oper im wahrsten Sinne des Wortes“, denn „ihre Kraft liegt im Ausdruck des Gesangs“, bleibt das zunächst blanke Theorie. Denn die Gesangspartien sind, zumindest auf den ersten Blick, eintönig und monochrom. Sie können an Bravour und Espressivo des Operngesangs nur noch erinnern, mit angedeuteten Koloraturen hier, entstellten Seufzermotiven dort.

Die Sänger dieser Aufführung bewältigen ihre verstümmelten Partien meisterhaft. Bariton Jonathan de la Paz Zaens belebt seine stumpfen Motive mit seinem so durchtriebenen wie beweglichen Brummen. Countertenor David Cordier hellt die matten Phrasen mit glockigem Glanz auf. Und diese Aufführung ist aus musikalischer Sicht nicht deshalb geglückt, weil man sich Sciarrinos spröder Partitur angenommen hat, sondern weil man angetreten ist, ihr etwas entgegenzustellen.

Das gilt leider nicht für die optische Ausstattung. Sabrina Hölzer hoffte wohl einerseits, Sciarrinos ästhetizistischer Musik mit einer sterilen Regie – im Stile Robert Wilsons – begegnen zu können, wollte dann aber doch nicht auf emotionale Ausfälle verzichten. Die Protagonisten schleichen über die Bühne und winden sich verlegen; „Il Malaspino“ schaut verzweifelt nach oben, „La Malaspina“ schuldbewusst nach unten.

Aber die Tragödie ist längst besiegelt. Und es erscheint fast ein wenig verwegen, dass sich ausgerechnet das Ensemble in der letzten Szene noch einmal gegen das Schicksal aufbäumt, dass die Musik in die Handlung einzugreifen versucht, indem sie die Katastrophe des bevorstehenden Mords mit scharfen Akzenten und schwelendem Klang ausmalt. Aber da hatte Sciarrino der Musik ihre Emphase längst abgestreift und sie ihrer Handlungsmacht beraubt.

„Luci mie traditrici“: heute und morgen, Hebbel-Theater, 20 Uhr

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