Der Muffelsympath

Axel Prahl ist der neue „Tatort“-Kommissar in der aufgeräumten Ödnis von Münster. Und sich selbst gar nicht so sicher, ob ihm das auf Dauer gefällt

„ ‚Kacke‘ istprägnant undtrotzdemliebenswürdig.“

von CHRISTIAN BUSS

Zum Schlafen trägt er ein St.-Pauli-Shirt, und wenn sein Handy bimmelt, ertönt die Melodie von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Als wollte ihn sein Telefon daran erinnern, dass er hier gar nicht hergehört. Stimmt ja auch: Was macht ein Junge vom Hamburger Kiez in der aufgeräumten Ödnis von Münster? Hauptkommissar Frank Thiel hat es aus familiären Gründen hierher verschlagen; kriminalistisch ist die Stadt ja eher unauffällig. So richtig freuen kann er sich nicht, er eruiert erst mal die Lage. Vielleicht kann der Fischkopp ja frischen Wind aufs Revier bringen, vielleicht krepiert er auch vor Langeweile.

Gespielt wird der neue „Tatort“-Kommissar von Axel Prahl. Und der müsste sich eigentlich vor Glück überschlagen, denn mehr als eine Ermittlerrolle in der erfolgreichsten Krimiserie kann man als Schauspieler im deutschen Fernsehen eigentlich nicht erreichen. Doch Prahl eruiert erst mal die Lage – so wie der von ihm verkörperte Kommissar, der skeptisch sein neues Revier begutachtet, um sich dann bang die Frage zu stellen, ob er hier überhaupt hingehört.

Prahl wurde in Eutin geboren und lebt in Berlin, sozialisiert wurde er in Hamburg. Überschwang ist seine Sache nicht. Er sagt: „Machen wir uns nichts vor: Der ‚Tatort‘ ist Unterhaltung für ein breites Publikum. Es geht um gigantische Quoten, da müssen bestimmte Regeln eingehalten werden. Ob mir das auf Dauer gefällt, wird sich zeigen. Mir wird in der ersten Folge ehrlich gesagt ein bisschen zu sehr der Humor ausgereizt.“

Das stimmt. Wahrscheinlich haben die Verantwortlichen beim WDR die Sorge, dass ihr neuer Ermittler vor Langeweile einschlafen könnte. Deshalb stellen sie dem wortkargen Kommissar eine kultivierte Quasselstrippe als Pathologen zur Seite. Und der Schauspieler Jan Josef Liefers, der bislang in all seinen Komödien erschreckend unkomisch gewesen ist, entwickelt als Wagner hörender Leichenaufschneider tatsächlich erstmals einen gewissen Witz.

Allerdings bleibt der kriminalistische Plot auf der Strecke; das monströse Verbrechen, das hier direkt in die düsteren Seelenkeller des Münsteraner Geldadels führt, steht wie eine unbelegte Behauptung im Raum. Aber damit kann man leben. – Erste Folgen von neuen Tatort-Ermittlern gehen nie auf; da wollen zu viele aufgeregte Fernsehleute zu viele Erwartungen erfüllen. Meist brauchen die Figuren ein paar Episoden, bis sie sich aus der übertriebenen Obhut der zuständigen Kreativkräfte und Fernsehbeamten befreit haben.

Prahl nimmt das öffentlich-rechtliche Bohei gelassen: „Es gab lange Diskussionen darüber, was für ein Typ der Ermittler denn nun sei. Am Anfang wollte ich ihn als absoluten Muffelkopf spielen. Das war aber nicht gewünscht, denn er sollte ja auch ein Sympathieträger sein. Da muss man sich klar machen, dass man als Schauspieler auch Dienstleister ist.“ So die bescheidenen Worte des notorischen Polizistendarstellers, der sich in Wirklichkeit natürlich darüber im Klaren ist, dass er die angestammte Rolle wie kein zweiter zu variieren versteht. Seit Prahl 1998 eher zufällig für Andreas Dresen in „Nachtgestalten“ eine wunderbare Improvisation als genervter Schreibstubenbulle hingelegt hat, wurde er immer wieder als Beamter gebucht.

Seltsamerweise wird man auch nicht müde dem Quadratkopf dabei zuzuschauen, wie er nölende Streifencops spielt. „Klar“, sagt Prahl, „ich sehe in den meisten Filmen ähnlich aus. Ich kann nur mit dem, was ich bin und besitze, arbeiten. Wenn ich mir einen Bart anklebe und eine Maske aufsetze – dahinter steckt immer noch Axel. Es geht um Facetten und Nuancen. Kürzlich meinte ein Kollege: ‚Du spielst immer nur dich selbst!‘ Ich sagte: ‚Ist dir mal aufgefallen, dass das alle Großen tun?‘ “

Wie „alle Großen“ versteht er es aber auch, sein Image gekonnt zu hintertreiben. So wie in dem Psychogramm „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, wo hinter der bekannten Figur des sanft fluchenden Wachtmeisters unvermittelt ein echter Psychopath hervortritt, der eine Kollegin in den Selbstmord treibt. Der 42-Jährige nüchtern: „Hat mich viele Freunde gekostet dieser Film. Die riefen an und beschimpften mich als Schwein.“

Prahl lädt zum Missverständnis ein, den Darsteller mit der Rolle gleichzusetzen, weil er so viel von der eigenen Person in die Filmfiguren steckt: Ob er nun in Münster Kripo spielt oder, wie in Andreas Dresens Milieustudie „Halbe Treppe“, die gerade im Kino läuft, einen Imbissbesitzer in Frankfurt (Oder) – stets stattet er seine Helden mit dem eigenen Sprachgebrauch aus. Das Wort „Kacke“ etwa stoßen alle von ihm verkörperten Charaktere mit ranziger Grandezza hervor. Prahl schwärmt: „Es ist ein viel schöneres Wort als ‚Scheiße‘, das ja inflationär benutzt wird. ‚Kacke‘ ist prägnant und trotzdem liebenswürdig.“

Das sind so die linguistischen Strategien eines Schauspielers, der so viel wirkliches Leben wie möglich in die Fiktion zu holen versucht. Einen Bruder im Geiste hat er im freundlichen Radikalinski Dresen gefunden. Das Beziehungsdrama „Halbe Treppe“ stellt einen Höhepunkt der Symbiose dar: Vier Darsteller improvisieren sich in die Ängste und Eskapaden zweier Pärchen hinein, und die DV-Kamera rückt ihnen dabei auf die Pelle.

Mitten in diesem Selbstzerfleischungsseminar über die Neurosen des unteren deutschen Mittelstands flog Prahl für drei Tage nach Warschau, um in Roman Polanskis Holocaustelegie „Der Pianist“ eine kleine Rolle als Wehrmachtsoldat zu übernehmen. „Eine extreme Erfahrung war das: auf der einen Seite ein Ausstattungsfilm mit minutiöser Ausleuchtung, auf der anderen Seite die Spontaneität und die unwiederbringliche Erfahrung, den Schöpfungsmoment einzufangen. Wobei mir Letzteres wohl am meisten am Herzen liegt. Der gespielte Dokumentarfilm bietet für mich die authentischsten Ausdrucksmöglichkeiten.“ Bleibt zu hoffen, dass die „Tatort“-Verantwortlichen noch mutiger werden. Sie sollten Prahl erlauben, ein bisschen mehr Leben ins Täterrätsel zu holen. Sonst krepiert er in Münster womöglich wirklich noch an Langeweile. (So., 20.15 Uhr, ARD)