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Die Verdammten der Liga

Der Tabellenletzte Energie Cottbus bündelt vor dem heutigen Spiel gegen Hertha BSC Berlinnoch einmal alle Kräfte und beschwört die alten Tugenden: Kampfgeist und Geschlossenheit

von MARKUS VÖLKER

Wer in den Weiten des Internets die Seite des FC Energie Cottbus besucht, wähnt sich in einem Film. „The Fight Club“ steht da geschrieben und darunter ist ein Porträt von Trainer Eduard Geyer zu sehen, wie es bärbeißiger kaum sein könnte. Er blickt grimmig und mit zerfurchter Stirn auf ein Spielfeld, auf dem ein paar verschwommen abgebildete Energie-Spieler über den Rasen traben. „Kämpfen!“ – dieser Imperativ schreit durch das Bild.

Die Aufmachung spielt auf einen Hollywoodstreifen von David Fincher an, in dem sich Brad Pitt und Edward Norton von kreuzbraven Angestellten in brutale Schläger verwandeln. Sie suchen im Schmerz die Erfahrung, die ihnen im Alltag abhanden gekommen ist. Sie wollen ausbrechen aus dem Trott ihres drögen Lebens und tun, was ihnen Vitalität verschafft.

„The Fight Club“, damit will der FC Energie natürlich zuallererst seine Art des Fußballspiels beschwören. „Unsere Fans müssen sehen, dass wir rennen, kämpfen und unbedingt gewinnen wollen“, hat Geyer vor dem Spiel gegen Hertha BSC Berlin gesagt. Seine Spieler müssten „Überzeugungarbeit“ leisten, ackern bis ihnen die Lunge brennt, und den Gegner angehen, bis dieser den Mut verliert. In der bisherigen Saison schien es freilich, als hätten die Cottbuser ihre Courage verloren. Die Kämpfer hatten vergessen, auszuteilen und sich gegen Schlagkombinationen der Gegner zu wehren. Die Energie-Elf schien so hilflos wie einst der Boxer Rüdiger May, als er sich dem Schweizer Angehrn ergab, und so willensschwach wie zuletzt Luan Krasniqi, der trotz Führung das Handtuch warf.

Und wie Energie Cottbus das Kämpfen verlernt hat! Energie legte den schlechtesten Start seit 1997 hin. Der Club steht mit vier Punkten am Tabellenende. Die Statistiker attestieren den Lausitzern einen denkbar miesen Kampfverlauf. Nach acht Spielen verfügen sie über den schlechtesten Angriff der Liga, die schlechteste Verteidigung; nur 72 Prozent der Pässe kommen beim Mitspieler an (nur Bielefeld ist noch schlechter); sie haben nur 65 Torschüsse abgegeben, davon traf nicht mal ein Drittel den Kasten. Zu Hause schossen sie in vier Partien ein einziges Tor, ansonsten gingen alle Spiele im Stadion der Freundschaft verloren – Indizien der Krise, von der Geyer jedoch nicht mehr reden möchte. Abgehakt und vorbei das Geschehene. Man fange wieder bei Null an. Tun, als ob der missratene Start nur eine Art Trainingslager mit verpatzten Vorbereitungsspielen war. So lässt sich wegschieben, dass die Fans in Cottbus Geyers Ablösung gefordert haben und Bürgermeisterin Karin Rätzel meinte, der Trainer erscheine ihr „nicht mehr kämpferisch“. Kapitän Christian Beeck tingelte dieser Tage mit dem Appell durch die Redaktionen: „Wir müssen jetzt alle zusammenstehen, die Mannschaft hat sich noch lange nicht aufgegeben.“ Was aber, wenn die Mobilmachung fehl schlägt? Wenn die Fans wieder die Demission des seit 1994 amtierenden Fußballlehrers fordern? Cottbus – zweite Liga?

In der spielfreien Zeit hat Geyer allerhand versucht, um auch den Spielern die Erinnerung und den Frust auszutreiben. Der 57-Jährige hat es einmal mit Nachsicht versucht („Die Spieler haben genug Dresche gekriegt, meine Aufgabe ist es wieder, sie aufzubauen“), dann seine Mannen auf Fahrradtour und zum Badminton geschickt, ein andermal den Ball aus dem Training verbannt, um Entzugserscheinungen zu provozieren. Was man so tut, um ein Team neu zu justieren. In Vorbereitungsspielen wurde der tschechische Verein FK Jablonec mit 2:1 besiegt und Landesligist BSV Cottbus-Ost mit 6:0. Das war gut für das Selbstbewusstsein, sagte Geyer, die Spieler hätten gesehen, dass sie noch siegen können. Auch die Stürmer balsamierten ihre Seele. Paulo Rink traf zweimal, was den Trainer freute, soll der Deutsch-Brasilianer doch zu einem Führungsspieler reifen. Und Geyer selbst ist mittlerweile soweit, dass er einen vorzeitigen Ausstieg aus seinem bis 2003 laufenden Vertrag ausschließt.

Mit Hertha BSC kommt heute ein Verein, der seine Punkte immer in der Lausitz ablieferte, was nicht ohne Krawalle auf den Rängen abging. Die Polizei observiert die Kampfhähne deswegen besonders genau. „Wir sind zum Siegen verdammt“, erklärte Eduard Geyer, Coach des „Fight Club“, vor dem entscheidenden Spiel. Man wird sehen, ob die Energie-Profis so kämpfen wie Brad Pitt und Edward Norton: weit über die Schmerzgrenze hinaus.

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