piwik no script img

Ein Kubus für die Seele

Minimalismus in Marmor: Das Haus am Waldsee zeigt Arbeiten des österreichischen Holzschneiders und Bildhauers Gerhard Trieb, der von Kasimir Malewitsch bis hin zu Albrecht Dürer das Quadrat als Form am meisten liebt

Die Ausstellung beginnt im Vorgarten. Im idyllischen Apfelbaumhain des nicht minder romantisch von Blattwerk umrankten Hauses am Waldsee lagern zwei Marmorblöcke. Wie gleißende Zuckerwürfel mögen sie aus der Vogelperspektive wirken. Doch ebenerdig spürt man sofort die Schwere der beiden gleich großen Kuben. Nur in geringem Abstand voneinander platziert, liegen sie wie ein Paar einträchtig auf dem Rasen.

Im Parkbereich hinter dem Gebäude trifft man auf einen weiteren Kubus. Kurz vor dem Waldsee steht eine in den Boden eingelassene Stele, in der Nähe ein Boot. Mit der Einbeziehung des gartenlandschaftlichen Umfeldes knüpft das Haus am Waldsee an seine lange Tradition von Bildhauerausstellungen an. Die Spannung liegt diesmal in der Konfrontation von rational gestaltetem, abstraktem Kunstwerk und der regellos erscheinenden Farb- und Formenvielfalt der Natur.

Geschaffen wurden die Außenraumarbeiten von dem österreichischen, in Salzburg lebenden Holzschneider und Bildhauer Gerhard Trieb, der seit einigen Jahren auch in Berlin zu Hause ist. Bis 1988 war er als technischer Zeichner tätig, seitdem ist der 1958 geborene Trieb freischaffend. Als Künstler Autodidakt, hat er durch die Berufe seiner Eltern – seine Mutter war Herrenschneiderin, sein Vater Wagner – wesentliche Inspirationen erfahren. Immer hat er den Umgang mit Naturmaterialien gesucht. Als Atelier diente eine alte Brechmühle, wo er seine riesigen Holzschnitte herstellte. Marmorsteinbrüche in Untersberg und Krastal boten den Stoff für die Skulpturen. Seine Formensprache entwickelt sich aus den Materialien selbst und wird von ihm als „Seelenspiegel“ verstanden.

Die im oberen Stockwerk des Hauses ausgestellten Arbeiten gehören zu der „Henndorfer Block“ genannten Werkphase zwischen 1985 und 1995, die auch Zyklen zu Georg Trakl und John Cage enthalten sowie die Installation „Henndorfer Besetzung“, die auf Leben und Arbeit von Carl Zuckmayer anspielt. Sie besteht aus dem Druck „Hände in Unschuld, durchscheinend“: Ein dazu gehöriger riesiger Holzstock dient als Tischplatte – in den aufgezogenen Schubladen liegt das ausgeschnittene Holz. Trieb spielt nur verhalten auf figurative Vorlagen an, meist sind seine farblich auf Schwarz und Weiß konzentrierten Arbeiten durch „minimalistische Dissonanzen“ gekennzeichnet, die „Irritationen“ hervorrufen sollen. Streifen- und gitterartige Raster dominieren als splittrige, faserige, organisch wirkende Lebensbahnen, die an Wachstumsringe, Nervenstränge, Wasserverläufe oder Zellstrukturen erinnern.

Im unteren Teil des Hauses werden die als „Berliner Block“ gefassten Werke aus der zweiten Hälfte der 90er-Jahre gezeigt, zu denen auch die Gartenskulpturen zählen. Sie basieren meist auf dem Quadrat als Grundmaß, wobei sowohl Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ von 1914/15, mit dem die Kunstgeschichte auf null gestellt wurde, als auch das magische Zahlenspiele enthaltende Jupiter-Quadrat, das in Dürers „Melencolia I“ von 1514 im Hintergrund auftaucht, eine Rolle spielen.

Die Faszination von Quadrat und Kubus als Leitmotiv der Moderne setzt sich bei Trieb in der Quadrierung der Flächen fort. Seine nur im Kern als Kuben erfassbaren Steine aus Marmor und Granit – die großen im Garten wie die kleinen im Innenraum – sind von einem mit dem Diamantsägeblatt gefrästen Liniennetz überzogen. Je nach Struktur und Tönung des Materials entstehen unterschiedliche Effekte: Das allseitig verbundene Raster der Grate und Rillen kann als Einschnürung und Markierung, aber auch als Zeichen von Teilung und Wachstum verstanden werden. Die Steinschnitte lassen die mit Hammer und Meißel grob herausgehauene Kubenform nur erahnen – als Maß und Denkform, als Vorstellung von Naturkraft. Oder wie Malewitsch einst schrieb: „Aus Marmor soll man solche Formen herleiten, die gleichsam aus seinem eigenen Körper stammen …“

MICHAEL NUNGESSER

Bis 27. 10., Di bis So, 12 – 20 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen