: Im Doppelpack ins Wendland
Zwei Berliner Gruppen wollen gegen den kommenden Castor-Transport protestieren. Die einen setzen auf gewaltfreie Blockaden. Die anderen sehen sich nicht bloß als Umweltschutzgruppe
von TILL BELOW
Mitte November soll er wieder rollen: der nächste Castor-Transport ins Zwischenlager nach Gorleben. Spätestens Mitte November werden daher auch wieder viele Berliner Atomkraftgegner ins Wendland rollen – um gegen das mobile Symbol der Nuklearwirtschaft zu protestieren, wenn die Polizei sie lässt. Viele haben bereits eigene Erfahrungen mit massiven Einschränkungen ihrer Bürgerrechte gemacht. Ganz egal welche Form des Protestes sie auszuüben versuchten.
Ihr Ruf eilte der Berliner Reisegesellschaft weit voraus, die sich im vergangenen November mit zwei Bussen zur Lüneburger Auftaktdemonstration gegen den Castor-Transport gemacht hatte. So weit, dass die Reisenden bereits weit vor Lüneburg von der Polizei in Gewahrsam genommen wurden. Das „Autonome Atom Plenum Berlin“ hatte den Bus nach Erkenntnissen der niedersächsischen Kriminalpolizei gechartert. Das reichte den Beamten offenbar aus, um die Insassen für acht Stunden vom Demonstrieren abzuhalten.
Das Berliner Anti-Atom-Plenum (AAP) gibt es. Der Begriff „autonom“ passe jedoch nicht wirklich für die Gruppe, erklärt Michael Evers* vom AAP: „In dem Bus saß eine bunte Mischung von Leuten, die Polizisten sagten selbst, ‚Autonome habe ich mir aber anders vorgestellt‘.“ So sei es auch kein Wunder, dass die Beamten keine Hinweise auf „autonome Aktionen“ gefunden hätten, meint Evers. Zuvor allerdings hätten die Einsatzkräfte aufgrund ihrer Voraberkenntnisse die Businsassen aufgefordert, die Hände auf die Sitzlehnen zu legen. „Wir wurden einzeln herausgeführt und von verschiedenen Einheiten dreimal durchsucht“, erzählt der heute 18-jährige Schüler. Ihm seien sein Handy, Müsliriegel und ein Feuerzeug abgenommen worden. Als er und seine Freunde weiterfahren durften, war die Auftaktdemo längst vorbei. Bei der kommenden Wendland-Fahrt werden sich diese Schikanen nicht wiederholen, freut sich Evers: „Wir haben einen neuen Trick.“
Die Bezirksregierung Lüneburg begründete die erfolglose Busdurchsuchung später mit Informationen von BKA und Verfassungsschutz. Diese schätzten das AAP als „gewaltbereit“ ein, „Führungspersönlichkeiten seien bereits einschlägig kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten“, hieß es.
Evers und Carola Stoll* finden das behördliche Image ihrer Gruppe eher lächerlich. Beim AAP gibt es nach ihrem Selbstverständnis keine Führungspersonen, es setzt sich zusammen aus vielen Individuen mit unterschiedlichen Auffassungen, vieles werde trotzdem im Konsens entschieden. Wenn gerade mal kein Castor ansteht, engagiert sich das Plenum auch antifaschistisch oder beteiligt sich an der Vorbereitung des 1. Mai.
Stoll betont, dass das AAP keine Umweltschutzgruppe ist, für sie geht es nicht nur um Atomkraft. „Bei den Atomtransporten zeigt sich die Fratze des Systems, an Obrigheim zeigt sich ja gerade wieder, dass die Politik hauptsächlich wirtschaftlichen Interessen folgt“, sagt sie. Früher hat sich die 27-jährige Archäologiestudentin auch bei den gewaltfreien Sitzblockaden von „X-tausendmal quer“ beteiligt – bis sie dabei 1997 von der Polizei verprügelt worden sei. „Ich kam mir vor wie ein dummes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde, das hat meine Bewunderung für die Leute von X-quer enorm gesteigert“, sagt Stoll.
Die große Sitzblockade von 1997 hat Samuel Fischer* noch im Fernsehen verfolgt, jetzt engagiert er sich bei der Berliner Kontaktgruppe von X-tausendmal quer an der TU. „Ich dachte damals: Da prügelt ein Staat seine Bürger, und mir war klar, ich werde mich auch querstellen.“ Für Fischer kommen nur friedliche Sitzblockaden als Protest in Frage. Dass er dabei nicht immer friedlich behandelt wird, weiß er aus eigener Erfahrung. Als er im November 2001 bei Gorleben mit einer Gruppe eine Straße blockieren wollte, sei ihm ein Polizeihund an die Kehle gesprungen. Er will sich trotzdem wieder hinsetzen. „Was soll die Alternative zu gewaltlosem Protest sein? Wir können doch kein Wettrüsten mit der Polizei veranstalten“, meint seine Freundin Lena Hoffmann*. Beide sind aber froh, dass es viele verschiedene Protestformen gibt. In einem sind sich die Aktivisten von AAP und X-quer einig: „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“
* Namen von der Redaktion geändert
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