: Horror hinter Gartenzäunen
Stephen King und Peter Straub erzählen in „Das schwarze Haus“ vom Schrecken der amerikanischen Kleinstädte
Wir sind die Kamera. Wir sind die Leser, wir sind die beiden Autoren Stephen King und Peter Straub. Und wir sind das Kino, das dieses Buch ständig im Kopf hat.
„Das schwarze Haus“ beginnt mit diesem „Wir“, der zentralen Erzählperspektive, im Anflug auf French Landing, dem genretypischen Ort der Handlung: eine abgelegene und mehr oder weniger idyllische Kleinstadt am großen Mississippi inmitten der Wälder Wisconsins. Hier sind unaussprechliche Dinge passiert, „Verwerfungen“, wie es heißt. Ein Serienkiller geht um, der kleine Kinder verschwinden lässt, sie auf kannibalische Weise ermordet und den Eltern danach böse Briefe schreibt. Die Bevölkerung ist in Panik, die Polizei ratlos. Als ein weiterer Junge verschwindet, kommt der ehemalige Lieutenant und Superbulle Jack „Hollywood“ Sawyer zu Hilfe, der in French Landing seinen vorzeitigen Ruhestand verbringt und bereits die Hauptfigur in „Der Talisman“ abgab, dem ersten Gemeinschaftsprojekt von Stephen King und Peter Straub vor zwanzig Jahren.
Wer der Täter ist, wird schnell klar (und sei hier trotzdem nicht verraten). Schwerer wiegt jedoch das Böse, das hinter dem Mann steckt und immer wieder in ihn fährt. Es verbirgt sich in einem ominösen „Schwarzen Haus“, tief in den Wäldern außerhalb von French Landing. Wenn man so will (und die beiden Autoren wollen es so), findet sich hier der Eingang zu einer anderen Welt, in der der wahre Kampf gegen die Verbrechen an Kindern aus aller Welt von Jack Sawyer und seinen Verbündeten geführt werden muss.
Der Roman „Das schwarze Haus“ bietet damit seinen Lesern zunächst einmal einen breit angelegten Filmplot aus dem verkaufsträchtigen Fantasy-Horror- Segment. Dass andere Werke wie David Lynchs „Twin Peaks“ oder Wes Cravens „Scream“ (hier vor allem die selbstironisch mit dem Genre spielende Erzählperspektive, die sich mit logischen Ungereimtheiten nicht lange aufhält – wie es gerade passt, ist das erzählende „Wir“ entweder allwissend distanziert oder ratlos verängstigt) kopiert und sogar offen zitiert werden, muss indessen nicht gegen den Stoff sprechen. Denn ebenso wie in Jon Amiels Thriller „Copykill“ geht es in „Das schwarze Haus“ dem Serienkiller selbst gerade genau darum, ein historisches Vorbild zu kopieren – in diesem Fall den „Fisherman“, der im New York der Zwanzigerjahre mit Vorliebe ausgerechnet die Gesäßbacken seiner Opfer verspeiste.
Die Autoren geben sich große Mühe mit einer möglichst vielschichtigen Darstellung ihrer Protagonisten – ein paar Bier trinkende Biker zitieren da schon mal Derrida. So gelingt King und Straub zunächst tatsächlich das Porträt einer amerikanischen Kleinstadt, hinter deren Gartenzäune und Vorhänge man kurioserweise immer wieder gerne einen Blick wirft. Das dazu passende Naturpanorama wird mit dickem Pinsel und spürbarer Freude an der genre-untypischen Metapher ausgemalt: „Gewalt wütet ungesehen, fortwährend, von allen Aspekten einer schweigenden Landschaft absorbiert, die niemals still steht, sondern mit glazialem (sic!) Mangel an Eile in Bewegung ist.“
Etwa zur Hälfte des Buches verlagert sich die Handlung jedoch mehr und mehr in „die Territorien“, eine Parallelwelt, die King aus seiner Saga „Der dunkle Turm“ übernommen hat. Das Unfassbare, die ekstatischen und parapsychologischen Reaktionen, die so etwas wie ein bestialischer Serienmord durchaus glaubwürdig bei allen Beteiligten hervorrufen können, verliert sich nun in einer mit epischem Eifer beschriebenen düsteren Märchenwelt, einem „Anderland“, in dem das reine Böse in Form von Gestalten wie „Abbalah“ und „Gorg“ regiert.
So erklärt sich das Böse und Übel dieser Welt letztlich mit dem Übersinnlichen, Extraterrestrischen und also radikal Anderen. Dieser Erzähltrick von King und Straub verweist auf das vielleicht entscheidende Problem des Fantasy- und Horror-Genres überhaupt: Als Leser bangt man eben nicht wirklich um Helden, denen – damit sie gegen die fiesen Aliens überhaupt eine Chance haben – immer noch ein Zauberwort („D’yamba!“) oder ein plötzlich aus dem Baseballschläger kommender Laser-Strahl aus jeder Klemme helfen können. Man befindet sich halt im „Anderland“.
Der noch so sorgfältig aufgebaute Horror fällt in sich zusammen. Und die gute Idee, dass „Wir“ – jenes ganz am Anfang auf French Landing hinabfliegende Auge – das Böse sein könnten, wird irgendwann mittendrin von dem Superbullen Jack „Hollywood“ Sawyer einfach mit einem Drehschuss aus der Hüfte vom Baum geballert.
ANDREAS MERKEL
Stephen King, Peter Straub: „Das schwarze Haus“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner. Heyne Verlag, München 2002, 832 Seiten, 26 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen