: Das allgemeine Baumbangen
Miniermotte, Baumschulensterben und der plötzliche Eichentod: Die Hinweise, dass wir im ausgehenden Baumzeitalter leben, mehren sich dramatisch
von HELMUT HÖGE
Ein Kriminalbeamter, der für Versicherungsbetrügereien im Großraum Berlin verantwortlich ist, erzählte mir, dass er einen ganzen „Familienverband“, bestehend aus ehemaligen LPG-Mitarbeitern, am Stadtrand hochgehen ließ. Einer der Männer hatte laufend Unfälle mit Gebrauchtwagen fingiert, indem er mit 40 km/h gegen Alleebäume gefahren war – seine Frau saß immer neben ihm. Vor Gericht erklärte sie: „Was mein Mann aushält, das halte ich auch aus!“ Der Kriminalbeamte meinte: „Ob Sie es glauben oder nicht, den Alleebäumen ist nie was passiert. Die sind robust – besonders im Osten.“ Hoffentlich!
Alleen wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von immer mehr Herrschern in Europa angepflanzt – vor allem, damit ihre ihnen teuer gewordenen Soldaten im Schatten marschieren konnten. In Preußen war Friedrich Wilhelm I. in großem Stil mit von der Partie. Während die Alleen seitdem im Westen nach und nach den Straßenverbreiterungen, -begradigungen und Sicherheitserwägungen zum Opfer fielen, blieben sie im Osten – wie so vieles – nahezu unverändert erhalten, ja, sie erholten sich dort sogar von den letzten Kriegsschäden.
Im Berliner Raum wurden die Bäume dafür von den 1949 enteigneten „Späthschen Baumschulen“ geliefert. Diese Firma war 1720 von einem Christoph Späth gegründet worden, zunächst als Obst- und Gemüsegärtnerei in Kreuzberg. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde daraus dank der preußischen Alleebaum-Programme die „größte Baumschule der Welt“ – mit zuletzt 800 Mitarbeitern. Zu DDR-Zeiten waren es noch 250.
Nach der Wende bekam der Alteigentümer Dr. Manfred Späth, ein Beamter, den Familienbetrieb zurück, der inzwischen noch einmal weiter an den Stadtrand – nach Treptow – gerückt war, wo er den Ostberlinern fast den Botanischen Garten in Steglitz ersetzte. Zumal der 1877 angelegte Schaugarten der Späthschen Baumschulen auf fünf Hektar zu einem Arboretum ausgebaut wurde. Zwar gab es in Pankow auch noch einen „Botanischen Volkspark“, aber den kannten nur wenige, er war nach dem Krieg zunächst zur Zentralstation der Jungen Naturforscher „Walter Ulbricht“ erklärt worden. Nach der Wende kam er in die Verwaltung des Bezirks, der die dortigen Hochgewächshäuser wegen Baufälligkeit erst schließen ließ, sie aber nun doch renovieren und den Volkspark überhaupt attraktivieren will.
Eher das Gegenteil passierte mit den „Späthschen Baumschulen“: Erst einmal mussten sie wegen des Ausbaus der Stadtautobahn A 113 einige Hektar abgeben, wegen der Abgase ist aber die Qualität der Jungbäume in unmittelbarer Nähe der Autobahn weiterhin gefährdet. Außerdem wurden die kommunalen Dienstleistungen in Berlin immer teurer, so dass der Betrieb heute allein für die Straßenreinigungsgebühren viermal so viel bezahlt wie für die Pacht seiner Flächen an der Treptower Baumschulenstraße, wo die Baumschule 36 Hektar bewirtschaftet. Der Umzug der „Späthschen Baumschulen“ nach Ketzin ist mit einem weiteren Personalabbau verbunden – 16 Mitarbeitern wurde bereits gekündigt.
Alleebaumschulen sind heute ähnlich arbeitsteilig organisiert wie das staatliche Schulsystem: In der Grundstufe wird das Saatgut vermehrt und Jungpflanzen produziert. In der Mittelstufe bezieht man von überall her Jungware, die dann – „halbfertig“ – mit einem Stammumfang von 8 bis 10 Zentimetern und einer Höhe von 2 bis 3 Metern an die Oberstufe verkauft wird. Zu diesen so genannten Hochbaumschulen zählt auch der Späthsche Betrieb, der seine Ware in Deutschland, Holland und Kanada einkauft, wobei immer wieder Neuzüchtungen ins Spiel kommen. Als Absatzmarkt sind dem einstigen preußischen Monopolisten Späth bloß noch Berlin und Brandenburg geblieben, aber man will sich – bedrängt von den westdeutschen und holländischen Baumschulen und bedroht von den Sparmaßnahmen der Kommunen – wenigstens in Ostelbien weitere Marktanteile sichern.
Seit einiger Zeit breitet sich in den US-Staaten Kalifornien und Oregon das „Eichensterben“, dort „Sudden Oak Death“ genannt, aus. In den Achtzigerjahren kam es bereits in Berlin zu einem „Eichensterben“. Dieses war jedoch der Frosteinwirkung geschuldet, vor allem an den Wurzelanläufen, während die kalifornische Eichenkrankheit von einem Pilz namens „Phytophthora ramorum“ hervorgerufen wird, den man hierzulande vor allem bei der Tomate als „Kraut- und Braunfäule“ und bei der Kartoffel als „Kraut- und Knollenfäule“ kennt. Im 19. Jahrhundert löste er in Irland die „Große Hungersnot“ aus, die wiederum eine Massenauswanderung der Bevölkerung nach Amerika zur Folge hatte.
In Kalifornien trat der Pilzbefall zuerst in der Gegend von Big Sur bei den so genannten „Showcase Trees“ auf, so nennt man dort die besonders schönen und großen Bäume auf dem Besitz der Milliardäre, die den eigentlichen (Millionen-)Wert ihrer Grundstücke ausmachen. Inzwischen sterben aber auch Blaubeersträucher, Philodendron, Lorbeerbäume, der Großblättrige Ahorn und zwölf weitere Pflanzenarten an Phytophthora ramorum. Zudem breitet sich die Pilzseuche trotz Quarantänezonen immer weiter nach Osten und Norden aus. Im September befiel sie bereits die ersten Redwood- und Tannenkulturen in den Hauptanbaugebieten der Weihnachtsbaumindustrie, die allein einen Umsatz von mehreren Milliarden Dollar jährlich verzeichnet. Zwar arbeiten die US-Biologen fieberhaft an einem Gegenmittel, bisher aber noch ohne Erfolg. Schon stehen etliche kalifornische Baumschulen wegen der zunehmenden Zahl von Verkaufsbeschränkungen für die Bäume aus ihrer Region vor dem Ruin. Was die deutschen Importe aus Kanada betrifft, so besteht nach Auskunft das Berliner Pflanzenschutzamtes noch keine akute Gefahr. Dafür würden die Pflanzenbeschau-Richtlinien der EU bzw. die Pflanzenbeschau-Verordnung sorgen, die gegebenenfalls Einfuhrbeschränkungen vorsieht. Es werden bei den Importen aber auch schon Kontrollen im Hinblick auf den „Sudden Oak Death“ durchgeführt.
In den USA befürchten einige Biologen indes, daß die Pilzseuche vielleicht erst in etlichen Jahren wirklich flächendeckend um sich greift, so wie bei dem durch die Miniermotte verursachten Kastaniensterben und der holländischen Ulmenkrankheit, die fünfzig Jahre brauchte, um auszubrechen. Der „Sudden Oak Death“ wurde vor sieben Jahren erstmalig beobachtet.
Aber bevor noch die ersten Pilzsporen in Berlin gesichtet werden, hat schon ein allgemeines Baumbangen eingesetzt, das sich hier und da sogar schon gegen die staatlichen Umweltschützer formiert. Anfang Oktober etwa am Stuttgarter Platz, wo eine Bürgerinitiative in letzter Minute das Fällen von drei Bäumen verhindern konnte, die zuvor von der grünen Stadträtin zu einem „Sudden Death“ verurteilt worden waren, weil sie angeblich ihre „Standsicherheit“ aufgegeben hatten. Insgesamt geht es dort um etwa 100 Bäume – die der Standortverlegung des Bahnhofs im Weg stehen.
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