Gehäkelte Identitäten

Grotesk, bunt, nicht sonderlich furchterregend: Luftschlangen-überlagerte Uraufführung von Gesine Danckwarts neuem Stück „Meinnicht“ im Thalia in der Gaußstraße

Zuerst guckt nur der Wuschelkopf heraus. Dann schält und quält sich aus den Polsterritzen der Wohnlandschaft ein Arm, zwei Arme, ein Oberkörper, bis der ganze Kerl ächzend und platt wie eine Flunder auf den Sitz fällt. Wenn er sich dann zu ganzer Größe erhebt, von Kopf bis Fuß im gehäkelten Club-Look, gibt das schon den ersten Lacher im Publikum.

Eine lustige Nummernrevue ist Gesine Danckwarts Stück Meinnicht, das gestern im Thalia in der Gaußstraße uraufgeführt wurde. Schönheitswahn, Mediengeilheit, Geschlechterverhältnis packt Danckwart in lockere, grotesk-komische Szenen. Vier Personen belagern da eine überdimensionale Polsterburg. Das spießige Kuschelheim, dekoriert mit etlichen Stehlampen, ist aber alles andere als gemütlich.

Lauter kleine Ich-AGs buhlen hier um Aufmerksamkeit, sehnen sich insgeheim nach Zweisamkeit und gruppieren sich mit aufgesetztem Cheese-Lächeln zu einem Familienfoto mit Geburtstagstorte. Idiot (Clemens Dönicke) sieht die Welt mit Kinderaugen und könnte der Sohn sein. Die füllige, resolute Mira (Victoria Trauttmansdorff) zeigt gestrenge Mutterqualitäten, gebärdet sich aber auch als Verführerin. Prompt (Judith Rosmair) ist die schillerndste Figur: irgendwas zwischen blondem Nummerngirl, Anziehpuppe, einsamem Single und bravem Töchterlein. Ihr Kleid ist so zweidimensional wie ihr Denken: eine mit Klebstreifen befestigte schrill-bunte Pappe. Und Peter (Norman Hacker) könnte der Vater sein, ist mal schüchterner Aufreißer, mal expliziter Frauenhasser.

Regisseurin Isabel Osthues und die Schauspieler schöpfen lustvoll aus der Fülle an Identitäten und zaubern eine originelle Idee nach der anderen aus dem Hut. Aus jeder Polsterritze kramt die Pseudo-Kleinfamilie Gegenstände hervor: vom Plüschhasen über einen Grill bis zum Würfelzucker. Zum Schluss (es hätte noch ewig so weitergehen können) fällt ein Vorhang aus Luftschlangen von der Decke; Jubelpfiffe schrillen durch den Zuschauerraum. Aus der Zauber. Theater. KARIN LIEBE

Nächste Aufführung: Sonnabend, 26. Oktober, 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße