: Freie Plätze mit Familie aufgefüllt
Staatliche Entführung einer türkischen Familie á la Schwarz-Schill im Last Minute Charter-Flieger: Trotz einer Duldung wird eine siebenköpfige Familie mitten der Nacht von einem Polizei-Kommando abgeholt und in die Türkei abgeschoben
Von KAI VON APPEN
Abschiebungen sind an sich schon unmenschlich. Aber es gibt auch Abschiebungen, deren Willkürlichkeit und psychische Brutaliät bei weitem die Vorstellungskraft des Normalen übersteigen. So wie die der siebenköpfigen türkischen Familie Yilmaz. Obwohl sie noch am Vormittag glücklich eine vierwöchige Duldung von der Ausländerbehörde erhalten hatte, wurde sie in der Nacht zum Mittwoch gegen zwei Uhr von einem Polizeikommando in ihrer Wohnung aufgesucht und in die Türkei abgeschoben. Offenbar waren noch Last-Minute-Plätze im Abschiebeflieger frei.
Die „Rückführung“ per Charterflug ist besonders effizient, schwärmt AusländerbehördenSprecher Peter Keller. „Grund hierfür sind neben den geringeren Kosten die besseren Möglichkeiten, Straftäter aber auch größere Familienverbände als Einheit in ihre Heimat zurückzuführen.“ Was die Behörde verschweigt: Die Abschiebung der Familie Yilmaz war illegal.
Saban Yilmaz war vor zehn Jahren nach der Heirat mit einer Deutschen nach Hamburg gekommen. Nach vier Jahren wurde die Ehe geschieden. Er heiratete erneut, diesmal eine Türkin. Mit ihr hat er mittlerweile fünf Kinder, das jüngste ist gerade mal sechs Monate alt.
Aufgrund seiner Hochzeit mit der Türkin hatte die Ausländerbehörde den Hinweis erhalten, seine Ehe mit der Deutschen könne eine „Scheinehe“ gewesen sein und erkannte ihm seinen Aufenthaltsstatuts ab. Aufgrund einer Fristversäumnis seiner Anwältin konnte sich die Behörde gerichtlich durchsetzen.
Yilmaz versuchte jedoch alles, um in Deutschland bleiben zu können. Die Kinder gehen hier zur Schule, er hat einen guten Job. Erst am Montagabend befasste sich der Petitionsausschuss der Bürgerschaft mit seinem Fall – Schwarz-Schill lehnte die Petition jedoch ab.
Wenigstens um eine geordnete Ausreise bemüht, ging die Familie vergangenen Dienstag zur Ausländerbehörde und bekam eine vierwöchige Duldung. Angeblich noch am gleichen Tag wurde die Duldung ohne Seba Yilmaz‘ Wissen widerrufen, offensichtlich aufgrund eines halb leeren, gecharterten Abschiebefliegers der Behörde.
Als die Polizei in der Nacht kommt, bleiben der Familie ganze 30 Minuten, um die notwendigsten Utensilien einzusammeln. Die Kinder und das Baby werden aus dem Schlaf gerüttelt. Das Gros an persönlichen Habseligkeiten bleibt zurück. Und das, obwohl nächtliche Abschiebungen schon nach dem Hamburgischen Vollstreckungsgesetz grundsätzlich untersagt sind. Die Yilmaz werden zum Fuhlsbüttler Flughafen gebracht und in den Flieger nach Ankara gesetzt.
Die Verfügung zum „Widerruf der Duldung“ geht – vermutlich an diesem Morgen erst geschrieben – Mittwochmorgen um 8.14 Uhr bei Yilmaz Rechtsanwalt ein. In ihr heißt es: „Die Duldung ist mit Bekanntgabe widerrufen.“ Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die Yilmaz bereits in der Luft auf dem Weg nach Ankara. In der Verfügung heißt es weiter: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich (...) Widerspruch eingelegt werden.“ Yilmaz Anwalt Mark Nerlinger, angesichts derartiger Vorgehensweisen hilflos, empfindet die Praktiken als unerträglich: „Es werden eindeutige Rechtsverstöße unternommen, um vollendete Tatsachen zu schaffen.“
Behördensprecher Keller rechtfertigt den Verstoß gegen das Vollstreckungsgesetz und früherer Senatsbeschlüsse: „Wir haben nicht mehr rot-grün“, sagt er. Die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung habe keine aufschiebende Wirkung für die Volstreckung, Yilmaz könne ja aus der Türkei dagegen klagen. Die Abschiebung habe vollstreckt werden müssen, sagt Keller, „anders wäre eine Rückführung nicht möglich gewesen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen