: Reisebekanntschaft ab sofort gesucht
Das neue Preissystem der Bahn wird für einen Boom der Tickettausch- und Mitfahrbörsen im Internet sorgen
BERLIN taz ■ Das Schöne-Wochenend-Ticket der Bahn hatte einen ungeplanten sozialen Effekt: Plötzlich fuhren wildfremde Menschen zusammen Zug, um Geld zu sparen. Das neue Preissystem der Bahn, das die Fahrgäste zwingt, im Voraus zu planen, könnte nun Ähnliches bewirken: Bahntramper und Internetbörsen für Tickets werden auftauchen, vermuten Experten.
Trampen auf der Schiene könnte so aussehen: Den Reisenden am Bahnhof empfängt eine Reihe potenzieller Mitfahrer. Mit Pappschildern, auf denen Städtenamen stehen, suchen sie nach Bahnkunden, um gemeinsam und damit billiger ein Ticket zu kaufen.
Bisher bekamen die „Tramper“ Ärger mit der Bahn, wenn sie auf der Suche nach Wochenendticket-Mitfahrern durch die Bahnhöfe streiften. Die Bahn warf ihnen geschäftsschädigendes Handeln vor. Nun macht sich der Konzern das Verhalten der Sparwütigen zunutze. Dies wird vor allem für neue Internetangebote sorgen, die Bahnreisende zusammenführen. Sie werden ihnen außerdem eine Plattform für Fahrkarten bieten, die sie gekauft haben, aber nicht nutzen können. Denn umtauschen ist passé oder kostet extra, einen Zug später fahren wird dann richtig teuer: Der Bahnkunde muss die Differenz der ermäßigten Karte zum Normalpreis plus 45 Euro zahlen.
Schon heute gibt es zum Beispiel die Seite www.kartenfuchs.de. Sven Koschik, Betreiber der Seite, bemerkt bereits jetzt erhöhte Zugriffszahlen auf seine Seite. Hier verabreden sich Menschen zum Bahnfahren und sparen so Geld. Bisher nutzen rund 30.000 Bahnkunden monatlich die Seite und schauten sich nach Mitfahrern für ein Wochenend-, Länder- oder Gruppenticket um. „Ich rechne mit einem unglaublichen Run, wenn es Mitte Dezember wirklich losgeht“, freut sich Koschik. „Gerade mit der Einführung des Euro, seitdem allgemein die Preise steigen, müssen die Leute auf ihr Geld achten und schauen sich nach Sparmöglichkeiten um.“
Im Dezember soll auf der Kartenfuchs-Seite zusätzlich ein Bereich eingerichtet werden, in dem die Bahnkunden Tickets weitergeben können, die sie im Voraus gekauft haben, aber nicht nutzen werden. Gerade hier wird wohl wegen der hohen Gebühren, die die Bahn verlangt, ein reger Handel entstehen.
Auch offline werden sich an schwarzen Brettern in Unis, Firmen und Altersheimen Menschen zum Zugfahren verabreden. Denn wenn sich möglichst viele Menschen möglichst früh verabreden, wird Zugfahren richtig billig. Zu viert und eine Woche im Voraus gebucht, fahren etwa vier Leute zusammen von Leipzig nach München und zurück für unschlagbare 147 Euro. Wenn sie sich denn finden und auf einen Zug einigen können. Das wird wohl das große Ziel auf der Jagd nach billigeren Tickets sein. SUSANNE KLINGNER
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