geiselnahme in moskau: Kommunikation des Terrors
Geiselnahmen sind eine alte Kampfform unterlegener Gruppen. Sie versuchen, ihre militärische Schwäche ein Stück weit auszugleichen, in dem sie einem hochgerüsteten Staat seine Verwundbarkeit vor Augen führen. Dabei wird nicht nur die Ohnmacht der staatlichen Organe deutlich. Auch die Angehörigen der Geiseln werden zur Zwangssolidarität mit den Geiselnehmern verpflichtet – zumindest solange diese die Kontrolle über die Entführten haben.
Kommentar von SVEN HANSEN
Geiselnahmen sind auch eine Kommunikationsform der Terroristen. Das Kidnapping von zu „Volksfeinden“ erklärten „Schreibtischtätern“ kann potenziell noch mit gewissen Sympathien und klammheimlicher Freude rechnen. Die Geiselnahme gänzlich Unbeteiligter führt jedoch zu Abscheu. Sie kommuniziert ein Bild des Bösen und konterkariert das politische Anliegen der Geiselnehmer.
Die Moskauer Kidnapper haben sich von vornherein per Videobotschaft und Homepage eigene Kommunikationsplattformen gegeben. Zudem setzen sie die den Geiseln verbleibenden Kommunikationsmittel – Mobiltelefone – in ihrem Sinne ein. Wurden bei früheren Entführungen die Geiseln ihrer Kommunikationsmittel beraubt, damit sie den Sicherheitskräften nicht helfen konnten, so werden sie jetzt ausdrücklich aufgefordert, ihre Angehörigen zu bewegen, Russlands Regierung zum Einlenken zu drängen. Das ist das Neue am Moskauer Drama.
Die Geiselnehmer von Jolo ließen internationale Medienvertreter in ihr Camp, weil sonst niemand sie auf ihrer abgeschiedenen Insel wahrgenommen hätte. Die so erlangte internationale Aufmerksamkeit erhöhte das Lösegeld und sorgte dafür, dass die philippinische Regierung nicht auf eine militärische Lösung setzen konnte. Die Attentäter vom 11. 9. nutzten ihre Geiseln nur als Geschosse, mit denen sie auf symbolkräftige Gebäude zielten und so über deren Symbolik und die Opferzahl Aufmerksamkeit schufen. Bei der jetzigen Geiselnahme im Herzen der russsischen Hauptstadt garantiert der Ort diese Aufmerksamkeit. Während sich die Geiselnehmer über den arabischen TV-Sender al-Dschasira und ihre Homepage an potenzielle Sympathisanten wenden, setzen sie die Geiseln als Kommunikationswaffe ein.
Dass damit einhergehende Sicherheitsrisiko zeigt, dass die Kidnapper alles auf eine Karte setzen. Diese neuen, extrem wandlungsfähigen Kommunikationsformen der Kidnapper machen den heutigen Terrorismus so schwer besiegbar.
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