: „Kita-Eltern haben keine Lobby“
„Träger sollen beim Kita-Gutschein-System aussteigen“, fordert ausgerechnet Kita-Card-Miterfinder Thomas Böwer (SPD). Hamburg sollte stattdessen abwarten, bis Geld aus Berlin kommt. Senator Langes System nennt er eine Mogelpackung
Interview: KAIJA KUTTER
taz: Die rot-grüne Bundesregierung verspricht 1,5 Milliarden Euro für Kinderbetreuung. Das kritisiert der Hamburger FDP-Abgeordnete Wieland Schinnenburg als eine ‚Mogelpackung‘. Es sei lediglich geplant, den Kommunen Geld zu überlassen, das sie durch das Hartz-Konzept einsparen.
Thomas Böwer: Es wird im Frühjahr einen Bundesgipfel Bildung und Betreuung geben, bei dem über die Verteilung der 1,5 Milliarden Euro, die es ab 2004 jährlich geben soll, geredet wird. Die Gegenrechnung zu Hartz ist eine haushaltstechnische Lösung, weil der Bund hier eigentlich nur Investitionen fördern darf. Herr Schinnenburg und auch FDP-Senator Lange sollten sich beim Wort ‚Mogelpackung‘ in Acht nehmen. Was sie mit dem Kita-Gutscheinsystem ab August 2003 für Hamburg planen, ist eine Mogelpackung.
Das Kita-Gutschein-System ist doch Ihr Lieblingskind.
Es wird, so wie es geplant ist, ein Armutssystem sein. Die Iska-Analyse aus dem Jahr 2000 sagt, dass 15.000 Plätze fehlen. Meine Prognose ist, dass die Nachfolge-Studie, die in Kürze veröffentlicht wird, das gleiche sagt.
Kennen Sie das Ergebnis?
Alles deutet darauf hin. Das Dramatische ist, dass Schinnenburg und Lange jetzt noch mal Geld aus dem System nehmen, indem sie das Kindergeld bei den Elternbeiträgen nicht mehr anrechnen. Das ergibt Minderausgaben von 7 Millionen Euro und bedeutet einen Abbau von 1500 Ganztagsplätzen.
Es heißt, dieses Geld wird wieder eingenommen. Weil künftig mehr Berufstätige die Plätze belegen, die höhere Beiträge zahlen.
Schön, dass Sie das sagen. Dies ist ein Punkt, weshalb ich allen Trägern empfehle, aus dem Gutscheinsystem auszusteigen. Sieht man sich die von Lange geplanten Bewilligungskriterien an, landen berufstätige Eltern auf dem 4. und 5. Platz. Nimmt Lange Geld raus, schafft er ein System, in dem die Nachfrage deutlich größer ist, als das Angebot. Die Verlierer werden die Eltern und die Kinder sein.
Sie haben auf über 100 Veranstaltungen für die Kita-Card gekämpft. Nun wollen sie aussteigen. Was hätte die SPD denn anders gemacht?
Die SPD hatte angekündigt, 75 Millionen Euro in das System reinzupumpen. Ein nachfrage-orientiertes System muss mit massivem Ausbau verbunden sein.
75 Millionen bei der schlechten Haushaltslage?
Das Geld war eingeplant.
Sie sagen, die Träger sollen aussteigen. Können die das?
Ja. Die Träger-Vereinbarung zum Kita-Gutscheinsystem ist nur paraphiert, nicht unterschrieben. Ich empfehle dringend, die Sache auszusetzen und den Bund-Länder-Gipfel abzuwarten. Dann wissen wir, wieviel Hamburg von den 1,5 Milliarden bekommt.
Haben Sie das im Vorwege mit den Trägern besprochen?
Ja. Ich sage den Trägern, lasst uns innehalten und alles noch mal auf den Prüfstand stellen. Es gibt zu viele ungelöste Fragen. Es kann nicht sein, dass die Träger in der Vereinbahrung den Einsatz schlecht ausgebildeter sozialpädagogischer Assistenzkräfte akzeptieren, wenn alle Welt vom Bildungsanspruch der Kitas spricht. Es kann nicht sein, dass Sprachförderung in Kitas erst mit fünf Jahren beginnen soll, wenn die Fachwelt einig ist, dass dies viel früher beginnen muss. Es kann nicht sein, dass Eltern, die Arbeit suchen, an 7. Stelle stehen. Wir brauchen den Ausbau, eine Qualitätsoffensive und eine Reform der Elternbeiträge. Aber genau in dieser Reihenfolge.
Die Träger wollen doch aber den Systemwechsel. Sie übten sogar Druck auf die Abgeordneten der Regierungsfraktionen aus, dem nicht im Wege zu stehen, weil sie Planungssicherheit brauchen.
Die Träger sollen im Nachhinein nicht sagen, sie wären nicht gewarnt worden. Wenn das System so umgesetzt wird, wird es Chaos und Unzufriedenheit geben. Die Träger müssen überlegen, ob sie wirklich die Interessen der ihnen anvertrauten Eltern und Kinder vertreten. Kita-Eltern können das nicht, sie haben keine Lobby. Wir bräuchten analog zum Schulsystem eine rechtlich verankerte Elternbeteiligung. Dies war von der SPD geplant. In Langes Kita-Gesetz, das am Dienstag in den Senat geht, steht davon nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen