piwik no script img

Tausend Küsse tief

Geschminkter Falke liebt zarte Hirschkuh: Taupe Liyuan Chinese Opera Theater aus Taiwan überzeugte in der UdK

„Schon wieder Liebe, buäh“, mault ein juveniler Gast beim zweiten Stück des „Taupe Liyuan Chinese Opera Theater“ aus Taiwan, das am Sonntag die UdK aufmischte. Genau, schon wieder Liebe: Auch in der über 2000 Jahre alten Kunstform aus China geht es meistens ums Küssen und so. Allerdings ums Küssen in unglaublichen Kostümen.

Der „Großkönig Xinag-Yu“ zum Beispiel, ein kampferprobter, aber recht romantischer Mann mit einem sehr speziellen Geschmack: Auf dem Kopf trägt er ein aus orangefarbenen Bällchen und Silberfirlefanz bestehendes Hut-Ungetüm, dazu ein vor Brokat, Schmuck und Spitzen starrendes Gewand und hohe Plateauholzschuhe. Sein Gesicht ist weiß grundiert und mit schwarzen Augenringen zu einer sorgenvollen Grimasse geschminkt – im Beipackzettel der UdK erfährt man, dass das in der Pekingoper-Maskensprache für Leidenschaft steht.

Die empfindet der Großkönig (dargestellt vom künstlerischen Leiter und Ehrendoktor Bao-chun Li) vor allem für seine Konkubine Yu-Chi (Yu-lin Huang), ein zartes Persönchen mit zarten Rottönen im Gesicht, was wiederum für „schöne Frau“ steht. Yu-Chi und Xinag-Yu haben das Problem, dass der König sich eigentlich eher dem grausamen Kampf gegen einen bösen Feind widmen müsste, statt im Schlafzimmer seiner Süßen Süßholz zu raspeln; darum wird Abschied genommen auf Pekingoper-Art: Yu-Chi ermordet sich selbst mit dem blitzenden Schwert des Großkönigs. Ende. Dazu klappern Timpani und Trommeln, und es wird im typischen hohen Pekingoper-Sprech-Singsang auf Liebe komm raus gesäuselt.

Im zweiten Stück, dem „Falken mit goldenen Flügeln“, hat sich der Tausendsassa (singen, springen, fliegen, tanzen) Bao-chun Li als göttlicher Falke zwei meterlange, schwingende Federn an seine Vogelmütze basteln lassen, trägt statt vieler Schminke nur Kajal und Augenbrauenschwärze und hat dazu einen erstaunten, siegessicheren Ausdruck in dem stets konzentrierten Gesicht. Er erinnert so komischerweise ein wenig an eine stark geliftete Frau, mit etwas fernsehverseuchter Fantasie ähnelt er sogar Blanche von den „Golden Girls“. Der Falke liebt eine Hirschkuh, das ist wieder die zarte Yu-lin Huang, aber die beiden Königskinder dürfen sich nicht lieben, denn sie sind Götter. Also müssen sie sich stattdessen mit den auf sie angesetzten Göttersoldaten herumschlagen, und zwar kräftig: TheaterdarstellerInnen fliegen in einer Tour durch die Gegend, machen Schwindel erregende Flickflacks, jonglieren mit Stäben und Stangen, untermalt vom dramatischen Mondgitarrensound und den charakteristischen „Puinggggg!“-Gongs. Am Ende dürfen die verknallten Tier-Götter aber zusammenbleiben, und man selbst möchte sich am liebsten sofort mit ein paar Salti mortali in die stürmische Berliner Nacht schwingen.

JENNI ZYLKA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen