: Der Exportartikel
Kreolische Poesie, brasilianische Rhythmik und eine Wohnung in Paris: Gespräch mit Teofilo Chantre
Durch Cesaria Evora ist kapverdische Musik seit Jahren in aller Munde – die lange Liste renommierter Exil-Künstler von den dürren Inseln jedoch ist weitgehend unbekannt. Zum engeren Zirkel zählt der in Paris heimisch gewordene Teofilo Chantre, der kreolische Poesie mit brasilianischen Zitaten verknüpft. taz hamburg sprach mit ihm über das Leben in Europa und Musik als Wirtschaftsfaktor für Cabo Verde.
taz hamburg: Sie leben seit langem in Paris. Inwieweit wurden Sie in Ihrer Art, mit der musikalischen Tradition von Cabo Verde umzugehen, von europäischen Musikstilen beeinflusst?
Teofilo Chantre: Als ich 1977 als Jugendlicher nach Frankreich kam, war da gerade Discomusik en vogue. Ich habe die zwar viel gehört, habe für meine eigene Musik aber die Kenntnis brasilianischer Interpreten vertieft. Das war schon vorher auf meiner Heimatinsel São Nicolau mein Steckenpferd gewesen. Der legere Esprit der Bossa Nova war ganz stilbildend für mich und mein Gitarrenspiel, aber auch die Sänger Caetano Veloso und Gilberto Gil waren meine Vorbilder.
Cabo Verde stellt ja in der portugiesischen Kolonialgeschichte einen wichtigen Knotenpunkt zwischen den drei Kontinenten dar. Das hat sich auch auf Melodien und Rhythmen ausgewirkt...
Wir haben im Prinzip drei Genres: die melancholische, langsame Morna, die schnellere Coladeira und den Funaná, einen noch recht jungen Stil. Aber ich für meinen Teil habe auch viele Tänze der europäischen Salonmusik in meinem Repertoire, Valses oder auch die Mazurka, die auf São Vicente früher sehr populär war. Außerdem arbeite ich mit afrikanischen Rhythmen, die europäisiert wurden, denn die Portugiesen haben den Sklaven damals natürlich ihre eigenen Perkussionsintrumente verboten.
Gibt es in Paris eine Szene, die Ihnen zusagt?
Wir haben in Paris zwischen 15 und 20.000 Exil-Kapverdianer, die sich untereinander viel austauschen. Aber meine Musik ist nicht nur für Landsleute, die Franzosen mögen sie genauso. Mein Quintett spiegelt diese Offenheit wider: Ich bin der Einzige, der von den Inseln stammt. Mein Geiger zum Besipiel ist Vietnamese und der Schlagzeuger kommt aus Guinea.
In Ihren Liedern preisen Sie sehnsuchtsvoll die schöne Heimat – die Wirklichkeit sieht mit Dürre und Armut nicht so rosig aus. Wie kommen die daheim gebliebenen Künstler zurecht?
Natürlich gibt es auf den Kapverden schwerwiegendere Probleme für die Regierung, als sich um die Kultur zu kümmern. Traditionelle Musik hat einen schweren Stand, im Radio hört man sehr viel Kommerz, einen kreolischen Pop, der vom Zouk der Antillen beeinflusst ist. Aber es gibt ein paar Festivals auf São Vicente und in der Hauptstadt Praia. Und die Politiker erkennen allmählich, daß unsere Tradition ein wichtiger Exportartikel ist, aber auch ein Mittel, Touristen zu locken, und stellen deshalb ein wenig Geld dafür bereit.
Interview: Stefan Franzen
Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik
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