: „Wir nehmen gern die Besten“
Eine Glaubenssache: Die Hamburger Band „Kettcar“ debütiert bei der frisch gegründeten Hamburger Plattenfirma Grand Hotel van Cleef. Am Freitag wird das Album „Du und wieviel von deinen Freunden“ im Nachtasyl gefeiert, und das Label gleich mit
von MARKUS FLOHR
Vor dem milchverglasten Ladenlokal in der Stresemannstraße brummt es vierspurig. Auf dem kleinen Klingelschild steht es geschrieben, großspurig: „Grand Hotel van Cleef“. Drinnen sind eine Hand voll Ikea-Schreibtische aufgebaut, die irgendwie nach unangenehm viel Arbeit aussehen, ein fallverstricktes Kabelgewirr bedeckt den Kachelboden, Kaffee- und Zigarettenreste überall, CDs, Poster und Zeitschriften türmen sich aufeinander – sieht so die Empfangshalle eines Grand Hotels aus?
Das Telefon klingelt. Marcus Wiebusch, Portier und ein Drittel der Belegschaft des frisch eröffneten „van Cleef“ hebt ab, nachdem er die Akustikklampfe in die Ecke gestellt hat. Der Gesprächspartner erkundigt sich allerdings weder nach verfügbaren Einzel- oder Doppelzimmern noch nach Halb- oder Vollpensionangeboten. „Grand“ also schon mal gar nicht – aber „Hotel“? Das „klingt halt gastlich“, erläutert Wiebusch, nachdem er das Gespräch „in die Promotionabteilung“ weitergegeben hat. Eigentlich ist er gar nicht Hotelportier, sondern Sänger der Band Kettcar, das Grand Hotel van Cleef ein Plattenlabel, und besagte Promo-Abteilung sitzt einen Tisch entfernt. Sie besteht aus seinem Kumpel Thees Uhlmann, auch Sänger, aber bei der Band Tomte. Der Dritte im Hotel ist Reimer Bustorff, früher Musikant bei Rantanplan, heuer ebenfalls ein Kettcar-Pilot. Man rückt also zusammen und verwaltet das Erbe der Hamburger Punkrockinstitution ...But Alive, mit der der verhinderte Portier vorher vier Platten veröffentlichte, nebst zugehörigem Label BA-Records, auf dem wiederum auch Tomte und Rantanplan Platten gemacht haben?
Nicht ganz. Durch die chaotischen Räume von Grand Hotel, das nach eigenen Angaben BA-Records „geheiratet“ hat, weht echter Gründergeist. „Wir drei sind bis in die Haarspitzen davon beseelt, etwas Neues zu schaffen“, so Marcus Wiebusch, „wir wollen Seelen in Schwingung bringen“ und, ganz wichtig: „niemals den Glauben verlieren.“ Den Glauben – ganz konkret – an den Erfolg des soeben veröffentlichten Kettcar-Debüts Du und wieviel von deinen Freunden. Im Frühjahr legen die Hoteliers dann mit der neuen Tomte-Scheibe nach, aber es soll noch weiter gehen, GHvC soll zu einer „Insel, einer Bastion in dem ganzen Dreck drum herum“ ausgebaut werden. Jungen Bands will das Label zu einer längerfristigen Unterkunft werden, „wir nehmen gerne die Besten“, merkt Wiebusch an – und lacht.
Und was war mit dem Dreck? „Wir sind umgeben von der Logik von Verwertung und Vermarktung, es ist ein gnadenloses Geschäft.“ In dem auch alte Trennlinien verschwimmen. War bei einer Band wie ...But Alive durch harten Punksound und linkes Sloganeering noch eine Abgrenzung gegenüber Mainstream und Verblödungsindustrie auszumachen, ist „2002 – the year Schwachsinn broke“, wie es in einem Kettcar-Song heißt, alles einfach irgendwie. „Harte Rockmusik steht für gar nichts mehr“, so Wiebusch, Bands wie Limp Bizkit oder 4Lyn sind für ihn nur „Dieter Bohlen mit andern Mitteln, das hört doch jeder Bundeswehrsoldat“.
Folgerichtig tastet sich der Sound von Du und wieviel... aus dem heimeligen Punkrock-Hotel in alle Richtungen vorwärts. Mal poppig, mit Synthie und Effektgerät, mal zurückhaltend, fast intim, im Liedermacher-Stil. Radikalität entfaltet sich bei Kettcar nicht im expliziten Polit-Stil der frühen ...But Alive, der Fünfer gießt seinen Alltag vielmehr in Satz- und Soundfragmente, die im besten Sinne Dichtung sind, Verdichtung der Realität, von der Wurzel an – eben radikal.
Substanzielle Melancholie ist es, die den Kettcar-Erstling auszeichnet. In den besten Momenten paart sie sich mit augenzwinkerndem, leisen Witz und kommentiert noch den öffentlichen Nahverkehr Hamburgs, denn „irgendwie ist es doch besser, im Taxi zu weinen als im HVV-Bus, oder nicht?“ („Im Taxi weinen“), und es erschließt sich, was mit „bis in die Haarspitzen beseelt“ gemeint ist. Da lugt Tomte-Thees hinter der Tür hervor: „Die Platte ist bei Amazon schon auf Rang 146“ – immerhin, auch da hat der Glaube gefruchtet.
Record-Release- und Labelgründungsparty (mit Kettcar und Tomte unplugged): 1.11, 22 Uhr, Nachtasyl; Tomte, Kettcar und Marr: 19.11., 21 Uhr, Schlachthof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen