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„Orndlich mit Mutters Schuhwixe“

Im Blaumeier-Atelier sieht man van Gogh aus vielen Perspektiven: Ein wilder Stilmix erinnert in der Ausstellung „Lieber Vincent“ in der Städtischen Galerie mal mehr, mal kaum an den derzeit so populären Niederländer

Der Frisör wird Augen gemacht haben, als Jürgen Klamann vor einiger Zeit mit einem van Gogh-Foto ankam – genau so wolle eraussehen. Also gab‘s Henna in Haare und Bart, außerdem zwei tiefe Geheimratsecken.

„Vincent II“ blickt nun aus Schaufensterscheiben suchend und sehnend in die Ferne, umwogt von Gerstenhalmen – Werbung für die Ausstellung „Lieber Vincent“, die das Blaumeier Atelier in der Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg begleitend zu den van Gogh’schen Feldern in der Kunsthalle zeigt.

Ein Jahr lang haben 20 Blaumeier-Künstler sich mehr oder auch weniger vom großen Meister inspirieren lassen. Grelle Farben, klare Linien, warme Herbsttöne oder verschwommene Konturen – „Lieber Vincent“ ist nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Manche haben kopiert, andere abstrahiert, wieder andere sich keinen Fitzel von van Gogh beeindrucken lassen. Es gibt sogar ein „Van Gogh ärgere dich nicht“ (Absinth-Flaschen als Spielfiguren). Nicht alles reißt vom Hocker, kann es bei diesem wilden Mix auch gar nicht.

Einer befördert allerdings mit Schmackes vom Stuhl: Eben Jürgen Klamann. Er malt sanft wiegende Getreidefelder, bei denen dem Betrachter die Sommerbrise um die Nase weht. Er malt fast perfekte Porträts von Vincent I. Er malt den Vampcent. Daneben ein düsteres, wild wogendes Strichfeld, vor dem man automatisch zurückweicht: Es springt vor Kraft fast aus dem Rahmen.

In der Klamann-Ecke gibt es Vincent auf Vinyl, Vincent als Klavier spielendes Skelett. Vincent überall. Mittendrin ein Feldbett, ein alter Koffer und eine Holzkiste, mit vertrockneten Blumen obendrauf. Klamann wird zur Ausstellungseröffnung eine kleine Performance geben.

Neben den Bildern und Installationen hat er als van-Gogh-Bruder Theo Briefe verfasst: „Mein lieber Vini. Ich erlaubte mir, der ungnädigen Kundschaft wegen, an deinen Bildern – ich bin untröstlich – herum zu laborieren.“ Oder: „Orndlich noch mal mit Mutters Schuhwixe die Kontraststriche betont. (...) Jetzt ist innen der Rahmen un außen dat Bild.“

Van Gogh hätte sich wohl vor Entsetzen über die Schuhwichse auch noch das andere Ohr abgeschnitten. Jürgen Klamanns Ecke ist dennoch das pulsierende Herz der Blaumeier-Ausstellung. spo

„Lieber Vincnt“ ist bis zum 15. Dezember in der Städtischen Galerie am Buntentor. Eröffnung am 2. November um 19 Uhr.

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