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Livemusik zu Schauerstreifen

„Herbsttage“ mit kongenialer Ungemütlichkeit: Das Ensemble „En Silence“ spielte in der Schauburg einen Livesoundtrack zum Gruselfilm „The Blair Witch Project“

Wendy Allans Stimme: ein schlimmerer Horror als die Schockeeffekte auf der Leinwand

Live gespielte Filmmusiken gibt es in Bremen ja öfter zu hören: Das Kino 46 lässt einmal im Monat einen Stummfilm von einem Pianisten, manchmal auch einem Ensemble, live auf der Bühne begleiten, und kommendes Wochenende spielt das Landesjugendorchester in der Glocke zur Projektion von Fritz Langs „Metropolis“. Ein „Livesoundtrack“ zu einem Tonfilm ist da schon etwas kurioser, denn all die Sounds, die der Regisseur im Ohr hatte, sind ja schon da. Warum dann noch etwas dazuspielen?

Genau dieser Widerspruch scheint den Bremer Musiker, Komponisten und Künstler Jörn Schipper gereizt zu haben. An den vier letzten Tagen fand an verschiedenen Orten seine Konzertreihe „Herbsttage – Festtage für Bilder, Worte und leise Töne“ statt, in der er die verschiedenen Künste miteinander verschmelzen wollte. So gab es im Kubo eine Mischung aus Shakespeare-Texten und minimalistischer Musik sowie ein ähnliches Projekt mit der Sängerin Gabriele Hasler „nach Texten von Gertrude Stein“ (Rezension folgt in der morgigen Ausgabe).

In der Schauburg wurde nun der Film „The Blair Witch Project“ projiziert, und dazu machten Wendy Allen (Stimme), Megumi Saaki (Violine), Helen Barsky (Trompete) und Jörn Schipper (Mischung und elektrische Sounds) ihre eigenen Töne. Bei den für die Erzählung wichtigen Passagen und Dialogen wurde jeweils der Originalsoundtrack eingespielt, aber für mehr als zwei Drittel des Films war der Tonregler des Filmvorführers auf Null gedreht und die Musiker spielten ihr alternatives Sounddesign.

Das klang meist sparsam bis minimalistisch: lange, getragene Klanglinien auf Violine und Trompete. Ein paar elegische Melodiebögen, die ständig wiederholt wurden, dazu immer wieder tückisch dissonante elektronische Klänge von Schipper – da wurde der Wald von Maryland, durch den die Filmfiguren ja fast den ganzen Film über herumirren, schon sehr kongenial ungemütlich gemacht.

Der Film bietet durch seine gewollt kunstlose Machart viel Freiräume, zudem gibt es einen ganzen Instant-Mythos um die Hexe von Blair, der auf einer aufwändigen Internet-Homepage verbreitet wurde. Aus diesem zitierte die Erzählerin/Vokalistin Wendy Allen. Zuerst wurden da die Legenden um Hexenkünste und Kindermorde weitergesponnen, aber immer mehr dekonstruierte sie den Text, wiederholte einzelne Worte immer und immer wieder. Wenn sie dem Publikum damit den Wald und den Film noch ungastlicher machen wollte, dann war ihre Performance ein voller Erfolg. Denn es wurde immer enervierender, man konnte das völlig sinnentleerte Herunterbeten kaum noch ertragen – Wendy Allans Stimme entwickelte sich zu einem schlimmeren Horror als die Schockeffekte auf der Leinwand.

„Which is Which“ war der Titel der Veranstaltung. „Which is Witcher“ – Bild oder Ton? konnte man da mitkalauern.

Wilfried Hippen

Heute um 20 Uhr gibt es im Künstlerhaus Am Deich unter dem Titel „Sanatorium Musicale - Musik zu Gedichten der japanischen Autorin Yoko Tawada“ das letzte „Herbsttage“-Konzert zu hören

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