: Sich selbst zerstörende Einheit
„Aars!“ im Neuen Cinema: Regisseur Luk Perceval zeigt die Todeskampf einer Familie als szenische Lesung
Nach dem mörderischen Monster Richard III., der seine komplette Verwandtschaft schlachtete, muss den Regisseur Luk Perceval das Thema des selbstzerstörerischen Reigen nicht mehr losgelassen haben. Nach einerszenischen Lesung beim Schauspielhaus-Abschiedsfest und der Bühnenfassung auf Kampnagel 2000 ist Aars! Eine filmische Lesung (zu deutsch: Arsch!), seine dritte Bearbeitung des auf der Orestie basierenden Themas, jetzt im Neuen Cinema zu sehen.
Dabei dient die Familie des Agamemnon als kleinste soziale Einheit zur Illustration der Selbstauslöschung einer „sich selbst degenerierenden Gesellschaft“ (Autor Peter Verhelst): Vater, Mutter, Sohn und Tochter sitzen um den Tisch. Ihre Unterhaltungen sind zu Beginn durch vergleichsweise harmlose Geschlechter-Hierarchien geprägt. Doch der Inzest zeichnet sich bereits ab, angekündigt von der als Chor fungierenden, unheilsverkündenden Musik von DJ Eavesdropper. Hier geht es nicht um Macht, sondern um den Hunger nach Glück.
Als Lesung, kombiniert mit Musik und Filmaufnahmen der Proben, funktioniert Aars! um einiges besser, denn als Bühneninszenierung. Die Brutalitäten der Familie im knöcheltiefen Wasser sind zwar nur auf der Leinwand zu erleben. Doch die Todesschlacht der amorphen Familienmitglieder schillert fein zwischen den stroboskopischen Bildern des Stummfilms und dem häufig divergent zum Körpergestus der SchauspielerInnen im Film gesprochenen Text.
Am Ende hat sich die Familie selbst vertilgt. Der erlösende Beat des DJ-Chors bleibt aus. Ein unlogischer Untergang damals wie heute, und gerade darum bedrohlich. Trotzdem: Ein Geschmack von Aufguss bleibt bei dem, was hier als „Uraufführung“ angekündigt wird, zurück.
Christian T. Schön
nächste Vorstellungen: 23. + 24.11., 20 Uhr, Neues Cinema, Steindamm 45
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