: Notbremse vor Kita-Chaos
Kita-Träger erheben „schwerste Bedenken“ gegen Gutscheinsystem des Senats. Behörden-Szenario nennt etwa 20.000 veränderte Bewilligungen. Befürchtung: Kinder von Arbeitslosen und MigrantInnen werden die VerliererInnen sein
von KAIJA KUTTER
Die Kita-Pläne des Senats stoßen auf immer größeren Widerstand: Der taz liegt ein Brief von Caritas-Geschäftsführer Norbert Keßler an Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) vor, in dem er im Namen der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) „schwerste Bedenken“ gegen die für August 2003 geplante Reform erhebt. Insbesondere durch die von Lange festgesetzte Rangfolge bei der Gutscheinvergabe, den so genannten Bewilligungskriterien, werde eine „Vielzahl von Familien in unserer Stadt eine benachteiligte Rolle spielen“. Vor einer Woche hatte der SPD-Jugendpolitiker Thomas Böwer bereits die Träger aufgefordert, aus dem Kita-Gutscheinsystem auszusteigen.
In einer dem Brief angehängten Stellungnahme macht AGFW-Geschäftsführer Michael Edele die dramatische Dimension der Pläne deutlich. Demnach gibt es eine „Projektion der erwarteteten Platzstrukturen“ aus dem Amt für Kindertagesbetreuung, die gegenüber heute von 20.000 veränderten Bewilligungen für Familien ausgeht – wobei die „Verlagerungen in kürzere Betreuungszeiten überwiegen“. Zum Verständnis: Künftig werden vorhandene Kita-Plätze nicht mehr vom Jugendamt belegt, sondern lediglich Gutscheine nach dem Umfang der elterlichen Arbeitszeit verteilt. Das Amt, so Edeler, gehe davon aus, dass dann „eine große Zahl von Eltern im Krippen- und Elementarbereich an Stelle eines 8-Stunden-Platzes einen 6-Stunden- oder gar einen Halbtagsplatz“ bekäme. Eltern, die nicht beide arbeiten, ihre Arbeit verlieren oder ein weiteres Baby bekommen, stehen in der siebenstufigen Bewilligungshierarchie auf dem letzten Platz. Dies wird laut AGFW vor allem „Familien mit Migrationshintergrund treffen“, die bisher in der Regel eine Ganztagsbetreuung erhielten, „um die Integration und Sprachentwicklung intensiv zu fördern“.
„So wie das System im Moment geplant ist, können wir es nicht mittragen“, sagt auch Uwe Mühling vom Diakonischen Werk. Zwar stehe man im Prinzip zum Systemwechsel, doch gingen die geplanten Bewilligungskriterien, die zum Teil schon jetzt angewandt würden, „zu Lasten der Eltern“. Zudem werde das finanzielle Risiko auf die Träger abgewälzt. Die Wohlfahrtsverbände, die rund 20.000 der 60.000 Hamburger Kita-Plätze anbieten, fürchten, dass viele Einrichtungen „aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein werden, den Eltern das bewilligte Angebot anzubieten“. Wer nicht genügend Gutscheine für eine Gruppe zusammenbekommt, muss sie schließen. Dies bedeute für die Kinder einen „Abbruch von gewachsenen Beziehungs- und Betreuungszusammenhängen“.
Keßler bittet den Senator nun um einen „kurzfristigen Gesprächstermin“, um die Bedenken der AGFW vorzutragen, bevor der Senat den Systemwechsel beschließt. Dies sollte eigentlich gestern passieren, wurde aber laut Bildungsbehörden-Pressesprecher Hendrik Lange verschoben. Dieser bezeichnete die Verhandlungen mit den Trägern als „interne Arbeitsgespräche“, zu denen er „grundsätzlich keine Stellung“ nehme.
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