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Null Bock nimmt zu

Immer mehr und immer jüngere Schüler glänzen im Unterricht mit Fernbleiben. Die Bürgerstiftung unterstützt Projekte, um Schulverweigerer wieder zurückzuholen

10.000 Kinder und Jugendliche in der Hauptstadt gehen nach Schätzungen der Berliner Bürgerstiftung regelmäßig nicht zur Schule. Tendenz steigend – vor allem in den jüngeren Jahrgangsstufen. „Das fängt jetzt schon in der Grundschule an“, sagt Ilse Rudnik, Schulrätin im Bezirk Mitte. Die Bürgerstiftung hat sich seit drei Jahren das Projekt „Lernen statt Aussteigen“ auf die Fahnen geschrieben. Sie versucht, Schulverweigerer in Zusammenarbeit mit den Bezirken mit einem Alternativunterricht in kleinen Gruppen wieder an das Lernen zu gewöhnen.

Schwänzen „ist vor allem ein soziales Problem“, sagt Schulrätin Rudnik. Die Kinder und Jugendlichen kommen oft aus zerrütteten Familien, haben zudem schulische und persönliche Schwierigkeiten, etwa extreme Ängste vor der Schule. Schließlich bleiben sie der Schule von einem halben bis zu drei Jahren fern, wie die Leiterin des Weddinger Projekts „Casa Grande“, Dietlinde Rintisch, feststellt. Und Heike Kaack, Vertreterin der Bürgerstiftung und Schulrätin in Marzahn-Hellersdorf, ergänzt: „Man kann die Schüler wieder integrieren. Sie erhalten dadurch eine Perspektive, auch einen Abschluss.“ Ansonsten drohten Arbeitslosigkeit oder auch das Begehen von Straftaten.

Deshalb betreuen im Projekt „Casa Grande“ nicht allein Lehrer, sondern auch ein Sozialpädagoge, der etwa auch die Eltern der Betroffenen berät. Dessen halbe Stelle bezahlt nun die Stiftung, die beiden halben Lehrerstellen werden vom Bezirk getragen. Maximal acht Schülerinnen und Schüler können aufgenommen werden, nach spätestens einem halben Jahr soll wieder die reguläre Schule besucht werden. Laut Aussage von Schulrätin Kaack liegt die Erfolgsquote bei 70 bis 80 Prozent.

Die Bürgerstiftung selbst wurde 1999 begründet und will vor allem „Anstöße geben, Signale setzen. Die Etablierung eines Kompetenzzentrums Schulverweigerer ist nicht unser Ziel“, sagt Hans-Jürgen Kaack aus dem Vorstand. Bei den Projekten solle es aber immer um „Jugendliche in sozialen Gefährdungssituationen gehen“ – neben den Projekten für Schulschwänzer etwa auch solche für Schultheater oder zur Integration russlanddeutscher Aussiedlerkinder in Marzahn.

Insgesamt geht es der Stiftung und den beteiligten Schulspezialisten aber um mehr: „Es muss eine neue Schulkultur geben“, proklamiert Schulrätin Heike Kaack. „Mit anderen Methoden können die Schüler durchaus motiviert werden.“ Dabei gehe es um fachübergreifende Projekte, Lerngruppen, in denen mit ausreichend Zeit ein Thema bearbeitet werden kann, weg von den üblichen 45-Minuten-Stunden mit jeweils einem neuen Thema und Fachgebiet. „Wir hoffen, dass unsere Ansätze in den Berliner Schulen Schule machen“, sagt Kaack. JÜRGEN SCHULZ

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