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Keine Schule ohne Mobbing

Manche halten es für dumme Streiche, für die betroffenen Schüler ist es die Hölle. Mobbing oder der systematische Versuch, Außenseiter zu erschaffen. Das Gegenmittel heißt: Schule soll Spaß machen

von NICOLE KUHN

Immer wenn das Telefon klingelt, hat Pia Angst. Angst davor, den Hörer abzunehmen. Bestimmt sind „sie“ es wieder: „Ich liebe dich“, sagt eine Stimme, „wenn du meine Liebe nicht erwiderst, bringe ich mich um.“

Über zwanzig solcher Anrufe hat Pia schon bekommen. Sogar mitternachts klingelt das Telefon. In der Schule haben sie ihr einen Brief mit dem gleichen Satz untergeschoben. Im Unterricht beleidigen sie Pia als „Streberin“ oder „Pickelgesicht“. Auf dem Schulhof bleibt sie alleine.

Für Pia sind das keine dummen Streiche mehr. Für Pia ist es die Hölle. Pia wird in der Schule gemobbt.

Irgendwann hat die Schülerin es nicht mehr ausgehalten. Sie wandte sich an den Schulpsychologen. „Mobbing heißt nicht, dass ein Schüler einen anderen einmal beleidigt. Mobbing dauert lange an. Dahinter steckt System“, sagt Ulf Cronenberg, Psychologe am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg.

Mobbing drückt sich entweder durch Worte oder durch körperliche Übergriffe aus. Ziel ist es stets, eine Person aus einer Gruppe auszuschließen. Mobbing am Arbeitsplatz ist bekannt. Es existiert aber auch in Schulen.

Es gibt keine mobbingfreie Schule, meint der Mobbingexperte Horst Kasper. An 10 Prozent der Schulen wird sogar massiv gemobbt, schätzt der ehemalige Realschullehrer und Autor des Buches „Mobbing in der Schule“. Manchmal bilden sich auch Mobbingbanden. Kleine Schulmafias haben dann das Regiment inne – wie im niedersächsischen Stadthagen, wo die Polizei gegen 65 „Geburtstagsprügler“ ermittelt (siehe Kasten).

Nicht jeder Schüler, der von Klassenkameraden ausgegrenzt wird, vertraut sich den Eltern an oder sucht die Hilfe eines Psychologen. Die Opfer schämen sich. Sie quälen sich mit der Frage: „Bin ich wirklich so blöd oder ein unliebsamer Mensch?“ Experten raten dringend, sich an eine Vertrauensperson zu wenden.

Der Psychotherapeut Andreas Dutschmann etwa sucht zusammen mit Opfern nach Wegen aus dem Alptraum. „Opfer werden meist Personen, die irgendwie von der Norm abweichen,“ sagt Dutschmann. In seiner Praxis im niederrheinischen Kleve ist ein Junge in Behandlung, der von seinen Mitschülern gehänselt wird – weil er hoch begabt ist. „Er ist ein wenig linkisch, nicht so modebewusst und sehr friedfertig.“ Der Therapeut versucht nun, ihm Umgangsformen zu vermitteln, die in der Klasse weniger sozial anstößig sind. Der Junge soll lernen, sicher aufzutreten. Dazu gehört im Notfall auch: „zurückzuschlagen“.

Lehrer sollten sofort einschreiten, wenn Mobbing unter Schülern auftritt. Das Problem ist, dass die Pädagogen die Anzeichen häufig nicht erkennen – oder nicht erkennen wollen. „Die Schule ist verpflichtet hinzuschauen“, rät die „Humane Schule“ Eltern und Betroffenen. „Denn Stadthagen ist überall – überall wird weggeschaut“, sagt Deltef Träbert. Notfalls sollten die Eltern auch die Schulaufsicht alarmieren, wenn Lehrer und Schulleitung auf Hinweise nicht reagieren. Schulpsychologe Cronenberg bemerkt aber inzwischen ein zunehmendes Interesse bei Lehrern. „In Fortbildungen kommen wir um das Thema Mobbing gar nicht mehr herum.“

Gegen Mobbing hilft nur Vorsorge. An manchen Schulen wurden so genannte Streitschlichter-Programme eingeführt, bei denen ältere Schüler zwischen den Kampfhähnen vermitteln (siehe Text rechts). Wenn’s Prügel gibt, ist es jedoch im Prinzip schon zu spät. Die Aktion Humane Schule vertritt daher den Ansatz, durch ein offenes, freundliches, kommunikatives Schulklima dem Mobbing den Boden zu entziehen. Schüler müssen die Chance haben, auch mal über ein Problem zu sprechen – in einem Morgenkreis vor der Schulstunde etwa. Wichtig ist auch, dass sich Eltern willkommen fühlen. Etwa indem sie ein gut eingerichtetes Sprechzimmer vorfinden.

Die Generalprävention schlechthin aber besteht darin, „dass die Schule Freude macht“. Detlef Träbert sagt ausdrücklich nicht „Spaß macht“. Denn er kennt das verbreitete Missverständnis, dass eine Schule, die Spaß macht, hierzulande keinerlei Ansehen genießt. Pisa hat das gezeigt. Seitdem die internationale Schulstudie Furore gemacht hat, ist der Druck eher noch größer geworden, „als Schüler erfolgreich sein zu müssen“, sagt Träbert. Und das, obwohl bei Pisa gerade jene Länder sehr gut abgeschnitten haben, welche die verfemte „Kuschelpädagogik“ treiben. Die deutschen Kultusminister kämen damit nicht zurecht. „Bei uns wird der preußische Weg gegangen: dass Lernen nur mit Druck möglich ist“, sagt Träbert.

Ulf Cronenberg warnt davor, die Folgen von Mobbing auf die Psyche zu unterschätzen. „Das Opfer kann die Folgen unter Umständen ein Leben lang mit sich herumschleppen.“ Auch Therapien können dann nicht alles das kurieren, was erlitten wurde.

Pia weiß nun, wie sie sich gegen die Telefonanrufe wehrt. Aber auf dem Schulhof fühlt sie sich immer noch allein.

Aktion Humane Schule, www.ahs.uni-osnabrueck.de

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