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Sweet Soul Music

Berlins längste Nacht: Die Northern Soul Allnighter im Roten Salon der Volksbühne gehören seit vielen Jahren zu einem festen Bestandteil der Berliner Partykultur. Nicht nur Soul-Freaks kommen hier ins Schwitzen. Ein Report aus dem Inneren der Szene

von ROBERT HODONYI

„Do you like good music?“, fragt Arthur Conley in seinem Hit „Sweet Soul Music“ von 1967. Die Antwort liefert er gleich mit: „Oh yeah, oh yeah!“. Ist doch selbstverständlich. Gefragt wird in diesem Stück natürlich nicht nach irgendwelcher Musik, sondern nach dem süßen Soul, den man einfach mögen muss. Schrie es damals aus unzähligen Kehlen „Oh yeah!“, muss man heute vorsichtig fragen, wer denn überhaupt noch Northern Soul hört. Ein Abend im Roten Salon der Volksbühne kann Aufklärung bringen.

Seit sechs Jahren finden hier regelmäßig Allnighter statt, die Northern-Soul-Tanzveranstaltungen. Der Allnighter beginnt um Mitternacht und geht bis in die frühen Morgenstunden. Etwa 300 Tanzwütige füllen im Durchschnitt den Saal des Roten Salons. Gekonnt und stilsicher bewegen einige Gäste ihre Körper zu den rauhen, schnellen Soulstücken, die die DJs an diesen Abenden auflegen. Der größte Teil des Publikums aber versucht den Beat einfach nur so unter Kontrolle zu bekommen. „Ein kleiner Kern Sixties-Stammpublikum, ansonsten viele Leute, die nur mal so vorbeischauen“, meint Hannes Rosenhagen (37), einer der DJs im Roten Salon, zu dem Publikum bei den Allnightern.

Die Zeiten, als Northern Soul ausschließlich von Mods, Scooter-Boys und anderen Soul-Freaks gehört wurde, sind längst vorbei. Heute gehen die Leute auf einen Allnighter wie auf jede andere Tanzveranstaltung. Und doch sind die Allnighter etwas Besonderes geblieben. Das liegt zum einen an den seltenen Stücken von teilweise völlig unbekannten Künstlern, die an diesen Abenden vom knisternden Vinyl in das goldene Zeitalter des Soul führen, und zum anderen an den euphorischen Tanzorgien, die diese Stücke auslösen. Soul-Legenden wie Martha Reeves & The Vandellas, Marvin Gaye, Dobie Gray, Al Wilson und andere werden auf den Allnightern natürlich ebenso aufgelegt. Den unbekannten Underdogs des Sixties-Souls wird aber der meiste Raum gegeben. Diese Künstler hatten vielleicht ein oder zwei geniale Momente im Leben und haben diese auf Vinyl gebannt. Gerade diese Stücke begeisterten die DJs Ende der Sechzigerjahre im Norden Englands. Hier beschloss man von der populären Soulmusik der Londoner Clubs abzurücken und spezialisierte sich ganz auf „raren Soul“, der in kleinen Studios in Chicago oder Detroit produziert wurde.

Als der englische Musikjournalist Dave Godin 1970 im „Twisted Weel“ in Manchester einen solchen Allnighter miterlebte, erfand er den Begriff „Northern Soul“. Northern Soul ist kein festgelegter Musikstil im herkömmlichen Sinne. Ein schneller, treibender Beat, wie er in den Uptempo-Songs zum Ausdruck kommt, unterscheidet den Northern am ehesten vom schweren und tiefen (southern) Soul. Die Definition erschwert, dass der Northern Soul auch mit Elementen aus Country, R&B, Rock ’n’ Roll, Beat, Salsa und Reggae spielt.

Seit 1996 legen Hannes, Katja, Stefan und Olaf im Roten Salon Northern Soul auf. Kamen am Anfang vor allem Freunde und Bekannte der DJs, entwickelten sich die Allnighter nach und nach zu einer der wichtigsten Adresse für Northern Soul in Berlin. Fast scheint es so, als wäre Northern Soul in Deutschland ein zyklisches Phänomen, das alle paar Jahre wieder einen gewissen Hype erfährt. „Anfang der Neunzigerjahre“, erinnert sich Hannes, „hat Northern Soul keinen Menschen mehr interessiert.“ Die Clubs zogen nach Berlin-Mitte und die Leute hörten Techno und HipHop. Eine konstante Tradition wie in England hat es hier nicht gegeben. Im Zuge des Mod-Revivals Ende der Siebzigerjahre und der Entdeckung des Northern Souls im Pop der frühen Achtzigerjahre schwappte die Welle erstmals auch nach Deutschland über: Die Dexy Midnight Runners coverten auf ihrem Debütalbum „Searching For The Young Soul Rebels“ (1980) „Seven Days Too Long“ von Chuck Wood, Soft Sell interpretierten „Tainted Love“ von Gloria Jones neu und in Deutschland fanden allmählich die ersten Allnighter statt.

„Noch Ende der Achtzigerjahre tanzten bis zu 2.000 Leute im Stadthaus Böcklerpark in Berlin-Kreuzberg zu den dortigen Allnightern“, denkt Hannes ein wenig wehmütig an die alten Zeiten zurück. Hier lernten sich er und seine zukünfigen DJ-Kollegen auch kennen. Angefangen haben sie als Tänzer, die einfach Spaß hatten, sich die ganze Nacht zu Northern Soul zu bewegen. Denn darum geht es im Wesentlichen bei den Allnightern: sieben oder acht Stunden hintereinander tanzen.

An das Auflegen haben Hannes und seine Kollegen erst einmal nicht gedacht. Die erste Single kam erst Monate später in den Plattenschrank, „Stop Her On Sight“ von Edwin Starr, erinnert sich Hannes. Schon damals war es schwierig, an die begehrten Scheiben zu kommen. Plattenbörsen wie auf den Allnightern in England fanden in Deutschland nur sporadisch statt. Wer heute eine neue Sammlung anlegen möchte, braucht Startkapital. So kostet inzwischen beispielsweise die Single „Welcome To Dreamsville“ von Sammy Ambrose 160 Euro, „Black Eyed Girl“ von Billy Thomson 280 Euro und „Your Wish Is My Command“ von den Inspirations sogar 640 Euro. Das liegt daran, dass die Single das Maß aller Dinge im Northern Soul ist. Für den DJ muss es möglichst ein Original sein, eines der wenigen, die in den kleinen Studios in Chicago oder Detroit produziert wurden.

Die Aufgabe eines Northern-Soul-DJs sieht Hannes im Spannungsfeld von „to entertain“ und „to educate“. Ein wenig seufzt er über die Wünsche des Publikums, die für ihn sehr in Richtung klassischer Soul-Hits tendieren, zu denen die Leute natürlich auch tanzen wollen. Eine kleine Zusammenstellung solcher Grausamkeiten für das geübte Ohr eines Northern-Soul-Fans gibt es auf seiner Homepage. Unter der Überschrift „Worst wishes to the DJ“ finden sich unter anderem Stücke von Otis Redding, James Brown und Aretha Franklin, die auf gar keinen Fall gespielt werden.

Der nächste Northern Soul Allnighter am Sa, 9. 11., Roter Salon in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz 2, Mitte

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