Die Engel in der Halfpipe

In seinen intelligenten, provokanten Displays zeigte er, wie nahe Malerei der Zeit sein kann: Am Mittwoch starb der Berliner Künstler Michel Majerus beim Absturz der Luxair-Maschine. Ein Nachruf

von KLARA WALLNER

Ich komme zurück ins Arbeitszimmer. Die bekannte Radio-Moderatorenstimme berichtet von einem Flugzeugabsturz in Luxemburg: Propellermaschine, maximal fünfzig Personen Fassungsvermögen – es soll zwanzig Tote und zwei Schwerverletzte geben. Wahrscheinlich menschliches Versagen. Ich denke im Arbeitstrott, war das gestern oder ist es was Neues? Danach Werbung. Dann spricht eine Flugexpertin: Das Stabilste an einer Propellermaschine ist das Cockpit, der Rest ist ziemlich fragil, und bei einem Absturz in dieser Größenordnung ist kaum mit Überlebenden zu rechnen. Ich denke, Michel ist Luxemburger, und – ich möchte niemanden kennen, der in einem solchen Flugzeug sitzt. Gott – wie oft habe ich das schon gedacht.

Plötzlich ist es bitterer Ernst: Michel Majerus (*1967) saß in der Luxair-Maschine Flugnummer LG9642/LH2420. Er ist tot. Unwiderruflich. Es gibt keine funkigen Bilder mehr von ihm. Es gibt dieses verschmitzte Lächeln nicht mehr. Diese strahlenden Augen. Er ist nicht mehr da. Ich kann es noch nicht begreifen. Doch nach ich weiß nicht wie vielen Anrufen, bei ich weiß nicht wie vielen Leuten, ist es wahr: Michel Majerus ist ums Leben kommen.

Seine emotional ungeheuer anregenden Bilder kommen wie Samplings daher. Sie behaupten sich jederzeit auf den quadratischen oder wandhohen Formaten, wie sie der Moderne eigen waren, und gipfeln häufig im eigensinnigen Konglomerat einer ganzen Rauminstallation. Michel entwickelte mit einem schnellen Duktus eine Art Gebrauchsästhetik, die es ihm ermöglichte, intelligente, provokante Displays zu schaffen. Mit ironischem Impetus wagten sie Interpretationen zu Frank Stella, Adidas, Elsworth Kelly, Nike oder Andy Wahrhol und dem Rest der Waren-Kunstwelt.

Michel ging es seit langem nicht mehr um die banale Frage nach dem Realen in der Kunst und schon gar nicht um den Kampf gegen die Malerei. Er musste und wollte all diese Diskurse nicht bedienen. In Michels Perspektive waren alle Medien gleichwertig und in ihrer Koexistenz wahrzunehmen. Im Kontrast zur Aura der Ausstellungsräume installierte Michel Majerus häufig Rahmen oder Gitter auf den Böden der Ausstellungsräume und arrangierte seine Malereien – ob auf Leinwänden oder direkt auf die Wand gemalt – kulissenhaft in die arrangierte Bodeninstallation. Seine Malerei, sprich seine Gemälde, traten durch diese Strategie in den Hintergrund und behaupteten sich – gleichsam multipliziert – in einer paradoxen Strategie humorvoll vordergründig. In dieser Auflösung oder Verschmelzung von Vorder- und Hintergrund schwammen seine Bilder im Hier und Jetzt und belegten eine enorme Geistesgegenwart.

Ebenso sehr wie es Michel nie um das Sakrale, Banale oder Reale in der Kunst ging, vielmehr um das Heute mit all seinen Designerklischees oder Slogans, die er mit Witz und Ironie interpretierte, wird er sich – wie ich mir das für einen Moment vorstelle – im Jenseits, das hoffentlich ein wenig was vom Diesseits hat, einrichten. Und wird von dort aus das medial Mannigfaltige des Jetzt beobachten und mit Charme, Kritik und Humor interpretieren.

Michel, du wirst uns auf Erden fehlen. Überrasche die Engel (wenn es sie denn gibt) mit den gleichen spannenden Installationen, wie wir sie erleben durften! Dann denken sie mal was anderes, wenn sie auf einer mehr als vierzig Meter langen und mindestens zehn Meter breiten Skateboard-Halfpipe herumturnen, so wie du sie 2000 im Kölnischen Kunstverein arrangiert hast. Und wenn sie bei Sturzgefahr ihre Flügel aktivieren müssen, können sie deinen imposanten weltlichen Konsuminterpretationen folgen, um sogleich gewaltigen Farbräuschen zu erliegen. Das sollte die Größenordnung sein, die sich auch im Himmel, und dort landest du ganz sicher, realisieren lässt.

„Artists in concert“ wird am Sonntag (10. 11.) als Gedenkkonzert für Michel Majerus stattfinden. G7, Johannishöfe, neben Tacheles, 22 Uhr (Einlass ab 20 Uhr) Klara Wallner lebt als freie Kuratorin in Berlin