: Die Zukunft des Rock ’n’ Rollist männlich – sorry, girls
Der „Wie werde ich ein Star“-Crashkurs liegt bereits hinter ihm: Ryan Adams, das goldene Herz des amerikanischen Rock, gastierte in der Berliner Passionskirche
Gute Songs sind nicht genug. Legionen von Songwritern ahnen dieses und stehen ratlos vor leeren Häusern. Ryan Adams verbringt seinen 28. Geburtstag am 6. November netterweise auf der Bühne der Berliner Passionskirche. Der „Wie werde ich ein Star“-Crashkurs liegt bereits hinter ihm, seine Inszenierung beherrscht er bis ins Detail. Am Merchandisingstand, neben den klassischen T-Shirts für stolze Männerbrüste, liegen zart hellblaue Girlieshirts, pink beschriftet und knalleng. Gut gehen sie zwar nicht heute Abend, aber wer selbst in Berlin die erste Reihe mit ihrer (wenigstens) potenziellen Käuferschaft zu füllen versteht, dessen Zukunft muss einfach als gesichert betrachtet werden.
Er schlakst auf die Bühne, den Kopf mit der bemerkenswert spitzen Nase zwischen den Schultern, grinst verschmitzt und raucht. Greift zur Gitarre und wird nun eine Stunde und 45 Minuten lang vermeiden, laut zu werden. „Oh My Sweet Carolina“, seine Hommage an die Heimat, ein ehrfürchtiger Song wie von einem alten Bluesman, eröffnet seine Show, zart und um Zwischentöne ringend vorgetragen.
Wie ein Kanonenschlag bricht anschließend der tosende Beifall aus, ein Kontrast, der sich über das ganze Konzert halten wird. Die Konzentration im Publikum und die Bereitschaft zur Begeisterung sind beispiellos, erst nach dreißig Minuten wird die erste Bierflasche auf dem Steinboden scheppern. Endlich also ist er tatsächlich da!
Die größte Hoffnung des Rock ’n’ Roll, ein Songwriter aus dem Herzland, einer, der es ernst meint mit Blues, Country, Punk und Shakespeare. Der seine Kunst über alles stellt, der lieber provoziert als fabriziert und dabei mit dem Konflikt zwischen wirklichem Musikertum und popgerechter Imagepflege jongliert.
Er weiß genau, wie er wirkt, trinkt Rotwein, Campari und Whiskey durcheinander, um es zu vergessen, und wird am Ende immer zurück zu seinen unzähligen großartigen Songs finden. Ohne die geht es nämlich erst recht nicht.
Die Spektakel seiner Konzerte sind mittlerweile berüchtigt. Mal rockt er torkelnd und trunken drei Stunden lang, mal bricht er mittendrin ab, gibt einem Zuschauer sein Geld zurück, weil dieser den dummen „Bryan“-Scherz macht, dann wieder verschenkt er Gitarren und überraschenderweise auch Toaster.
Heute bleibt seine Laune mehr auf „leise“ als auf Spektakel eingestellt, er trägt überwiegend Songs aus dem Solodebüt „Heartbreaker“ vor, „Sylvia Plath“ vom Erfolgsalbum „Gold“ ist dabei, „Dear Chicago“ vom neuen „Demolition“. Er begleitet sich selber an der Gitarre und am Piano, an der National Steel spendiert er ein Feedback. Und schließlich covert er sogar „Brown Sugar“ von den Rolling Stones.
Er befreit den Song von der unflätigen Chauvi-Jagger-Anmache und verwandelt ihn in einen hingebungsvollen, stark verlangsamten Gospelblues. Hin und wieder sorgen Ruth und Sarah ohne Nachnamen aus London an Piano, Cello und Violine für Stimmung, rotes Licht für das letzte Geheimnis. Und irgendwann piepst in die kirchliche Stille eine Mädchenstimme: „Ryan you are so exciting! I love you!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. CHRISTINE HEISE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen