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Punktscharen zu Flächen

Den Flügel entblößen, die Trompete verlängern: Andrea Neumann und Sabine Ercklentz werden im Ballhaus Naunynstraße jedem Sounddesigner den Neid ins Gesicht treiben

Das Essbesteck hat sich übel in den Saiten des Klaviers verheddert. Die Gabel selbst ist davon nicht beeindruckt. Wenn man sie antippt, wippt sie gemächlich auf und ab. Sie entlockt dem Klavierinnern das comicartige „Boing“ elastischen Federns, das wohl noch dem versiertesten Sounddesigner den Neid ins Gesicht zu treiben vermöchte. Wenig später senkt sich ein leise schnurrender Propeller auf die Saiten herab. Und wo die rotierenden Flügel auf die Saiten treffen, verursachen sie einen hellen Schlagklang, der das Klavier zur Monstergitarre mutieren lässt.

Urheberin der Klangkuriositäten ist Andrea Neumann. Dass Neumann als Pianistin nicht durch einen besonders weichen Anschlag besticht und dass sie auch nicht mit blitzflinker Geläufigkeit brilliert, liegt keineswegs an mangelndem musikalischen Talent. Irgendwann, erklärt sie, sei ihr der traditionelle Klavierklang als zu limitiert erschienen und sie habe ihr Interesse folgerichtig von der Tastatur in den Innenraum des Klaviers verlegt.

Und während sie die Techniken der Klangerzeugung im Klavierinnern raffinierte, befreite sie das Instrument von sperrigem Ballast: der altmodischen Tastatur, der sperrigen Hammermechanik und dem tonnenschweren Holz. Neumann hat den Flügel entblößt – auf 114 Saiten und einen gusseisernen Rahmen, der in jüngeren Ausführungen noch gegen einen Aluminiumrahmen ausgetauscht wurde. Das Innenklavier ermöglicht Neumann freien Zugang zu den Saiten, die sie jetzt anschlagen, dämpfen und verstärken kann, wie es ihr beliebt. Ohne filzenen Anschlag und hölzerne Resonanzen gleicht ihr Instrument einer Harfe ohne betulich perlende Darmsaiten-Gemütlichkeit, einer Gitarre ohne intervallklaffende Akkordstimmung oder einem Hackbrett ohne pittoreske Fernweh-Romantik.

Nun mag der Eindruck entstehen, dass Neumann mit wippenden Gabeln und die Saiten streifenden Propellern von bloßer Spielzeugfreude zum Gimmick getrieben wird. „Aber“, gibt da Sabine Ercklentz zu verstehen, „es ist ja gerade nicht unser Anliegen, das Kistchen zu öffnen, um ein schönes buntes Geräusch vorzuführen“. Ercklentz ist Trompeterin und seit 1997 Neumanns Duopartnerin.

Die beiden Musikerinnen, die morgen Abend im Rahmen des Festivals „Klangwerkstatt“ zu hören sind, hegen ein ähnliches Interesse an der Peripherie des Klangs. Aber anstatt ihr Instrument, wie Neumann, zu zerlegen, erweiterte Ercklentz die Trompete um den verlängerten Arm der Elektronik. Und während Neumann vor allem am und mit dem Instrument arbeitet, gewährt sie ihren Klängen ein Eigenleben. Ihre Trompetentöne und -geräusche fressen sich durch Kabelmeter und Effektschleifen, um noch Minuten nach ihrer Entstehung in immer neuen Schattierungen aufzuleuchten.

Fragt man Sabine Ercklentz und Andrea Neumann nach „Themen“, die sie in ihren Stücken verhandeln, nennen sie abstrakte Konzepte. Zum Beispiel den Versuch, Geräusche und Töne als gleichberechtigte Größen nebeneinander zu stellen oder Punktscharen in Flächen aufgehen zu lassen. Aber das alles wäre kaum der Rede wert, wenn sich ihre Musik in Abstrakta erschöpfte. Denn ihre gelenkten Improvisationen sind immer auch und vor allem Hymnen über den lyrischen Gesang der Geräusche, in denen noch eine in den Saiten verhedderte Gabel mit melancholischer Stimme zu singen beginnt. BJÖRN GOTTSTEIN

Sonntag, 19 Uhr, Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, Kreuzberg. Vollständiges Programm unter www.klangwerkstatt-berlin.de

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