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Die Fassaden der Wirklichkeit

Wenn der Mond aus Papier ist und der Schreibtisch aus Pappmaché: Das Lenbachhaus München zeigt die erste deutsche Einzelausstellung mit Fotografien und Filmen des Künstlers Thomas Demand

von HIAS WRBA

Nun ist er doch noch angekommen im eigenen Land, der Prophet. Nachdem Thomas Demand in den letzten Jahren mit seinen Arbeiten gerade außerhalb Deutschlands, vor allem aber in den Vereinigten Staaten, beachtliche Resonanz erfahren hat, widmet ihm nun das Münchner Lenbachhaus als erste deutsche Kunstinstitution eine umfassende Werkschau. Gezeigt werden Fotografien und 35-mm-Filme, die in den letzten vier Jahren entstanden sind.

Schon in der Eingangshalle blickt der Besucher gewissermaßen in deren fotografische Fortsetzung, einen erdrückend geometrischen, kahlen Raum, der schummrig beleuchtet ist. Graue Wände kontrastieren mit einem von seltsamen, blau schimmernden Ornamenten überzogenen Fußboden. Ein grey cube, unwirtlich und faszinierend zugleich. Das Bild trägt den schlichten Titel „Rechner“ und zeigt den noch nicht vollendeten Supercomputers „Blue Gene“. Gleichzeitig zeigt ihn das Bild auch wieder nicht. Denn nicht den Computer hat der in München geborene Künstler abfotografiert, sondern sein Modell. Thomas Demand, der heute in Berlin lebt, betreibt einen fragilen Nachbau der Realität in Pappe, Papier und Folie. Er betätigt sich als akribischer Fassadenbauer und lichtet die Früchte seiner Arbeit dann gekonnt mit einer Großbildkamera ab. Danach zerstört er die aufwändigen Modellszenarien, die fortan nur noch im Bild, besser vielleicht: als Bild existieren.

Als Motiv wählt er oft die Kulissen kollektiver Erinnerung. In einer Zeit, in der wir den größten Teil unserer Bilderfahrung durch die Medien machen, speist sich unser Weltsicht oft aus reproduzierten Gemeinplätzen. Demands medienkritisches Origami spielt mit den vagen Ahnungen einer Bekanntheit und hinterfragt nebenbei die immer noch gerne postulierte Authentizität der dokumentarischen Medien. Wir betrachten weiße Pulte, auf denen schwarze Telefone, Zettelstapel und gelbe Taschenlampen stehen, angeordnet in einem braven Durcheinander. War da nicht was? Kennen wir dieses Bild nicht irgendwoher? Und in der Tat, inmitten dieses Nachbaus biederer, verbeamteter Schlamperei, im damaligen realen West Palm Beach, Florida, drohte die amerikanische Demokratie zur Farce zu werden. Tatsächlich erinnern wir uns plötzlich wieder an die Bilder von Rentnern, die freiwillig bis tief in die Nacht Stimmzettel auszählen.

Doch diese Wahlhelfer fehlen bei Demands „Poll“, wie überhaupt die Menschen in seinen Arbeiten abwesend sind. Wir blicken auf leere Orte, Folien für vergangene und zukünftige Handlungen. Derart des handelnden Subjekts verlustig gegangen, verliert die mediale Erinnerung ein Stück weit ihre mythische Bedeutung. Aber kann man, wie Demand das tut, von einer „wiedergewonnenen Unschuld“ sprechen? Ohne das Wissen um Florida oder den Tunnel, in dem Lady Di umkam, oder um die Badewanne in Genf, in der Barschels Leiche gefunden wurde, funktionieren seine Arbeiten nicht wirklich. Die Möglichkeit, dass die Bilder, gerade weil ihr Macher ohne Zweifel ein Ästhet ist, in effektreichem Illusionismus hängen bleiben, ist durchaus gegeben.

Ein Trickser ist am Werk, und kaum zu glauben, dass auf dem schönen Foto alles nur aus Papier ist. Demand selbst versucht dieser eingeschränkten Wahrnehmung schon im Entstehungsprozess entgegenzusteuern und meint: „Die Gefahr, nur rein kunsthandwerklich wahrgenommen zu werden, ist groß. Deshalb versuche ich die Skulpturen bewusst nicht zu perfekt zu gestalten.“ Die Spuren, die der Mensch als Künstler hinterlässt, finden sich als kleine Unregelmäßigkeiten, als schlecht gefalteter Rand und unsaubere Klebestellen.

Die Ausstellung im Lenbachhaus, die einen gelungenen Überblick über die neueren Fotoarbeiten gibt, zeigt gleichzeitig mit den Filmen eine mögliche Richtung auf, in die sich Thomas Demands Arbeit entwickeln könnte. Vor allem „Recorder“ geht über seine bisherigen Arbeiten hinaus. Der kurze Loop projiziert in der holpernden Abfolge seiner Einzelbilder das Bild eines alten Spulentonbandgeräts, während sich im Hintergrund aus den Schnipseln des verschollenen Beach-Boys-Meisterwerks „Smile“ eine krude Melodie entwickelt. Ton und Bild verhaken sich trotz beiderseitiger Taktverweigerung ganz folgerichtig. „Smile“ sollte das größte Konzeptalbum der Popgeschichte werden, die Antwort auf Sgt. Pepper. Geblieben ist eine Spur, eine Ahnung des Genies Brian Wilson. Und weil einen die Bilder Thomas Demands immer in ein vages „Inneres“ zu transportieren scheinen, hat man das komische Gefühl, irgendwo in diesem kleinen abgedunkelten Raum zu sein, und neben oder hinter einem dreht der leibhaftige Brian Wilson an den Reglern, 1967. Und da taucht er plötzlich wieder auf, der bedeutungsgeschwängerte Mythos eines Bildes, der Hauch von retrospektiver Wehmut. Dieses leicht nostalgische Element, das in manchen von Demands Bildern mitschwingt, ist nicht zuletzt durch seinen Werkstoff bedingt. Papier ist ein Datenträger der Vergangenheit. Die Bilder von heute sind aus Einsen und Nullen gebaut. Und die Töne erst recht. Die sichtbaren Spuren, die wir hinterlassen, verblassen dabei zusehends.

Bis 19. Januar, Lenbachhaus München

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