Sieben Komma sieben

Auch mit dem neuen Trainer Mirko Votava ist Union so schlau wie zuvor: Beim 0:3 in Aachen zeigen sich die Eisernen butterweich und schreiben mit ihrem spektakulären Gegentor gar Fußballgeschichte

von BERND MÜLLENDER

Die Aachener Alemannia ist wahrscheinlich der einzige Fußballclub, der in seiner Vereinshymne das Wetter zum Erfolgsgefährten erklärt: „Regenschauer überm Tivoli“, trällert es seit den 60er-Jahren, „sind fürn Sieg die Garantie.“ Und die Spieler der Schwarz-Gelben, die in dieser Saison stets komplett in Schwarz auflaufen, peitschen sich in der Kabine mit dem wohl witzigsten Schlachtruf der Liga auf: „Die Men in Black – haun alle weg.“ Union Berlin, Gast am Freitagabend im peitschendem Regen, hat den Aachenern noch einen hübschen historischen Rekord dazugeschenkt.

Kann es sein, dass man selbst Anstoß hat und nach weniger als 8 Sekunden ein Tor kassiert? Union kann das: Anpfiff zur zweiten Halbzeit, zwei kurze Ballberührungen im Mittelkreis, der Unioner Sixten Veit verschläft den lässigen Rückpass, Aachens Miro Spizak stibitzt den Ball, läuft und läuft durch die freundliche Berliner Spalierabwehr und schießt zum 3:0 ein: Nachgestoppte sieben Komma sieben Sekunden, Rekord; eines der deppenhaftesten Gegentore in der Geschichte des deutschen Fußballs.

Was soll der betroffene Trainer, ob alt oder neu, dazu sagen? Nicht viel. Mirko Votava, Unions sehr neuer Übungsleiter seit Mittwoch, meinte nur: „Wir hatten uns viel vorgenommen, auch noch nach dem 0:2 in der Halbzeit. Und dann so was.“

Novize Votava (46), vorher 546facher Ligaspieler für Dortmund und Bremen, wo er als Lieblingsschüler von Otto Rehhagel galt, gab ein sehr aktives Debüt. 90 Minuten lang stand er neben dem Trainerbänkchen und winkte und gestikulierte und tigerte hin und tigerte her und schüttelte die Arme und verschränkte sie mal vor der Brust, dann hinterm Kopf.

Für diese Geste gab es reichlich Anlass. Nicht nur beim kuriosen 0:3 hatten die erschreckend konteranfälligen Unioner Alemannia Aachen immer wieder zum Torschusstraining eingeladen. Unions Deckung formierte sich 90 Minuten lang viel zu tief, wollte, aber konnte in solch weiten Räumen nie in wegweisende Zweikämpfe kommen. „Einige taktische Mängel“ habe er gesehen, so Votava nachher.

„Wir haben einen für Zweitligaverhältnisse exzellenten Kader, um den uns viele beneiden“, fand Union-Präsident Heiner Bertram kürzlich noch. Der Auftritt in Aachen war genau nach der Art, dass man hätte zustimmen wollen: Stimmt, Herr Präsident, da sind wirklich etliche taugliche Leute, technisch versiert, manchmal kombinieren sie auf hohem Zweitliganiveau, aber als Team sind sie toter als der Sozialismus in ihrer Heimatgemeinde. Man würde sagen, es besteht umgehender Handlungsbedarf, da muss dringend ein neuer Coach her. Nun steht der dritte Verantwortliche nach zwölf Spielen draußen und sagt: „Ich hatte gehofft, dass wir gut dagegenhalten“, das sei „nur teilweise gelungen“. Union bleibe halt „in der Negativspur“. Und die ist tief nach acht Spielen ohne Sieg.

Zwanzig Minuten lang, bis zum 0:1, hatte Union ganz passabel mit kombiniert und durch Fehler der anfangs nervösen Aachener sogar die besseren Chancen. Votava will „jetzt das Positive rauspicken, da hab ich was gesehen.“ Soll man gratulieren? Aachens Zuschauer hatten im stürmischen Dauerregen mehr Probleme mit ihren Schirmen als Aachens Spieler mit den Angriffen der Berliner. Neulich hatte Union in Köln 0:7 verloren.

„Wir fangen bei null an“, hatte Mirko Votava vorher gesagt. Nach der Abfuhr auf dem Tivoli vor 13.000 Aachenern und fast 150 eisernen Union-Freunden ist es dabei geblieben. Jetzt kommt mit Eintracht Frankfurt „eine Spitzenmannschaft“ in die Wuhlheide. „Da können die Jungs was zeigen“, hofft Votava.