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Talent kann man sich sparen

„Warum sollen wir noch ausbilden, wenn wir nicht mehr einstellen?“ Die Medienkrise hat jetzt auch die Lehrredaktionen und Journalistenschulen erreicht. Verlage kürzen bei der Nachwuchsförderung

von THOMAS GOEBEL

Die Süddeutsche Zeitung wirbt derzeit in Berlin mit einem Plakat, das eine Reihe von umstürzenden Dominosteinen zeigt. In der Krise der Medienbranche entwickelt dieses Bild eine Symbolkraft, die wohl nicht beabsichtigt war: Immer mehr Bereiche des Journalismus werden von der Krise mitgerissen, beginnen zu wanken und zu stürzen. Nun hat die Kürzungswelle auch die Ausbildung erreicht – bei Lehrredaktionen und Journalistenschulen wird gespart.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vollzieht den radikalsten Schnitt: Sie hat sämtliche Stellen für die Ausbildung junger Journalisten im eigenen Blatt gestrichen. Wenn Ende des Jahres die letzten Volontäre ihr Lehrjahr beendet haben, wird außerdem der Posten von Klaus Viedebantt wegfallen, dem Leiter der hausinternen Lehrredaktion. „Das hat ganz schlicht finanzielle Gründe“, sagt Videbantt, „die Verlagsleitung hat mir das so begründet: ‚Warum sollen wir noch ausbilden, wenn wir nicht mehr einstellen?‘ “

Bisher hatten bei der FAZ jedes Jahr sechs Volontäre eine 15-monatige Ausbildung zu Zeitungsredakteuren begonnen. Am 1. Oktober dieses Jahres blieben die Volo-Stühle in den Redaktionen der angesehenen Zeitung zum ersten Mal leer – statt neue Journalisten auszubilden, beschäftigt sich der Verlag derzeit mit der Frage, wie er die alten loswird: Bis Ende 2003 soll es bei der FAZ 100 Redakteure weniger geben, heißt es in Branchenkreisen.

Auch die angesehene Deutsche Journalistenschule (DJS) in München muss einen schmerzlichen Einschnitt verkraften: Der Axel-Springer-Verlag steigt aus der Finanzierung der Schule aus. „Wir werden unser Engagement bei der Deutschen Journalistenschule in München im nächsten Jahr aussetzen“, teilte der Verlag mit. Ob Springer sich in ferner Zukunft wieder an der DJS beteiligt, sei noch unklar. Der Verlag will sich zunächst jedenfalls auf seine hauseigene Journalistenschule beschränken. Die DJS hat immerhin einen neuen Kleinsponsor gefunden: Den Versichererverband GDV. Eine Schülergruppe hatte als freiwilliges Projekt neben dem Unterricht die Zeitschrift des GDV überarbeitet. Der Verband war von dem Ergebnis so überzeugt, dass er die Kosten für einen Ausbildungsplatz übernahm. Ist das der Beginn eines neuen Sponsorenmodells – mit größerem Einfluss der Geldgeber?

Ulrich Brenner, seit 1. August neuer Leiter der DJS, legt Wert darauf, dass die lukrative Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsverband nichts mit der Finanzlage zu tun habe: „Die Initiative ging ganz vom Versichererverband GDV aus. Die Journalistenschule behält ihre völlige Unabhängigkeit.“ Die allermeisten der insgesamt 52 Förderer der DJS seien dabei geblieben, die Schule könne mit ihrer jetzigen Finanzierung das Unterrichtsprogramm gut aufrecht erhalten. Wie viel Geld der mächtige Sponsor Axel-Springer-Verlag bislang in die Münchner Journalistenschule steckte, wollte Brenner aber lieber nicht verraten.

Auch die feudalste Adresse der deutschen Journalistenausbildung kommt nicht ohne Streichungen aus: die Hamburger Henri-Nannen-Schule (HNS) des Gruner + Jahr Verlags (Stern, Financial Times Deutschland). Ihr erst im Jahr 2000 neu geschaffener Ausbildungsgang für Online-Journalisten kam nicht über einen Jahrgang hinaus.

„Der Markt ist einfach nicht da“, sagt Nannen-Schulleiterin Ingrid Kolb. Statt in diesem Herbst neue Volontäre einzustellen, beendete der Verlag das Pilotprojekt in aller Stille. „Zur Zeit ist es leider nicht möglich, sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben“, heißt es auf der aktuellen Internetseite des Ausbildungsgangs lapidar.

Und noch eine weitere Einrichtung der Henri-Nannen-Schule wird wegfallen: Im Oktober 2003 schließt die Berliner Dependance der HNS, die bisher Weiterbildungskurse anbot. Ihr Leiter Klaus Steiner wird zu diesem Zeitpunkt die Altersgrenze erreichen. „Der Plan, die Berliner Abteilung dann zu schließen, besteht schon länger“, sagt Kolb. Dennoch sei der Entschluss „natürlich eine Sparentscheidung.“

Auch bei der Henri-Nannen-Schule also gilt: Rückzug aufs Kerngeschäft. Immerhin wird die HNS weiterhin monatlich 650 Euro an ihre Volontäre zahlen – verglichen mit anderen Schulen eine luxuriöse Ausstattung. So viel gibt es bei den kleineren Schulen gar nicht zu streichen. Doch auch die kürzen, etwa bei der Ausbildungsdauer: An der Evangelischen Journalistenschule in Berlin wird der 2003 beginnende 5. Jahrgang nur noch 20 Monate dauern. Das sind zwei Monate weniger als bisher.

Selbst die erst im vorigen Jahr entstandene RTL-Journalistenschule trug sich schon mit Kürzungsplänen. „Wir haben überlegt, die Schülerzahl zu reduzieren“, sagt Geschäftsführer Leonhard Ottinger. RTL und Schulleitung entschieden sich dann aber doch dagegen. „Die neuen Volontäre werden ja erst Anfang 2005 fertig“, sagt Ottinger. „Vielleicht sieht’s ja genau dann wieder besser aus.“

Als einzig krisenfest erweist sich im Journalismus nur der Ansturm auf die Ausbildungsplätze: „Unsere Bewerberzahlen sind konstant hoch“, sagt Ingrid Kolb von der HNS. Und Manuela Feyder vom Bildungswerk des Deutschen Journalistenverbandes hat gar ein steigendes Interesse festgestellt: „Wir bekommen zur Zeit sehr viele Anfragen nach Ausbildungen und Zusatzqualifikationen – vor allem natürlich nach solchen, die finanziell gefördert werden.“

Doch selbst der Bewerberandrang dürfte wohl mit der Krise des Berufsfeldes zu tun haben. Je rauer der Wind draußen weht, desto lieber entschließen sich freie Kollegen, in der Fortbildung zu überwintern.

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