„Respekt für diese Musik“

Di Matteo über den Konzert-Tango und dessen Eurozentrismus: „Wenn jemand in Argentinien überhaupt noch Tango hören will, dann zum Tanzen.“ Heute in Bremen

taz: Sie scheinen großen Ehrgeiz zu haben, die Bandbreite der Musik für das Bandoneon weit über den Tango hin zu vergrössern. So haben Sie ein Stück für ihr Instrument, Horn und Streicher geschrieben. Versuchen Sie damit, der Gleichung „Bandoneon = Tango“ entgegenzuwirken?

Luis di Matteo: Auf dem Bandoneon kann man alle Musik spielen: Mozart, Schönberg, sowohl populäre wie auch elitäre. Man kann mit dem Bandoneon – wie etwa Dino Saluzzi oder Juan José Mosalini – Jazz mit dem populären Tango verbinden. Aber ich versuche, noch tiefer die Möglichkeiten des Instruments auszuloten.

Ich kenne sonst keinen, der etwa ein Stück für Bandoneon, E-Bass und eine Gruppe mit allen Saxophonen, vom Soprano bis zum Bariton geschrieben hat. Bei mir steht alles auf dem Blatt: jede Note, jedes Tempo – es gibt keine Improvisation.

Wann hat es diese Spaltung in den populären Tango zum Tanzen und den konzertanten Kunsttango gegeben?

Damit hat Astor Piazolla in den 50er Jahren angefangen. 1954 ist er auf einer Schiffsreise von Paris nach Argentinien für eine Nacht in meiner Heimatstadt Montevideo an Land gegangen. Jemand hat ihn in den Club gebracht, und da habe ich ihn kennengelernt. Piazolla hat uns einen neuen, revolutionären Weg gezeigt, den Tango zu spielen: Wir haben begonnen, den Tango wie klassische Musik zu spielen, mit Schlips und Kragen, Notenpulten und Partituren.

Das war doch wohl auch, um ihm den Geruch der Bordellmusik zu nehmen.

Wir wollten Respekt für diese Musik, das war fast wie eine Religion für uns.

Erfolg hat Ihre Musik hauptsächlich in Europa. ist das nicht seltsam für Sie?

Wenn jemand in Argentinien überhaupt noch den Tango hören will, dann zum Tanzen. Als ich jung war, war das Bandoneon eines der beliebtesten Instrumente in Uruguay, und heute gibt es kaum noch eine Handvoll Musiker, die es spielen können. Ich trete nie in Argentinien oder Uruguay auf, obwohl ich dort ja lebe.

Das Land, in dem der Tango heute am populärsten ist, in dem es einige ganz eigene, verschrobene Versionen davon gibt, ist ausgerechnet Finnland.

Ja, ich habe ein paar Mal dort gespielt, und das war immer sehr komisch, denn die haben auf meinen Konzerten getanzt.

Haben Sie das als Kompliment verstanden?

Nein, das war schlecht. Meine Musik ist zu kompliziert, um dazu zu tanzen.

Interview: Wilfried Hippen

Heute um 20 Uhr im Schauspielhaus