Tief Gerhard über Deutschland

Dramatisch schlechte Umfragen für Kanzler und SPD. Bundestag verabschiedet Sparpaket zu Rente und Gesundheit sowie Hartz-Konzept. Fischer warnt in Grünenfraktion vor großer Koalition

BERLIN taz ■ Drei Wochen regiert die neue rot-grüne Koalition, gestern verabschiedete der Bundestag die ersten Not- und Sparprogramme der Regierung, und schon verlieren die SPD und Bundeskanzler Gerhard Schröder dramatisch an Ansehen in der Bevölkerung. Die Sozialdemokraten büßten in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zur politischen Stimmungslage zehn Punkte ein und kamen nur noch auf 26 Prozent. Die Union hingegen legte zehn Punkte zu und kam auf 55 Prozent. Die Grünen konnten sich bei 9 Prozent behaupten.

Auch bei der so genannten Sonntagsfrage, bei der längerfristige Überzeugungen der Wähler berücksichtigt werden, brach die SPD ein. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die SPD nur noch auf 34 Prozent (Oktober: 38 Prozent). Die CDU/CSU würde sich um vier Prozentpunkte auf 44 Prozent verbessern. Die Grünen kämen auf 9 Prozent (plus 1), die FDP auf 5 Prozent (minus 1). Für den Fehlstart der Regierung wird Schröder auch persönlich verantwortlich gemacht. Auf der Skala der beliebtesten Politiker rutschte er auf Platz sieben ab.

Überhaupt scheint sich der Kanzler als politischer Akteur aus der Öffentlichkeit verabschiedet zu haben. Auch gestern im Bundestag sagte er kein Wort. Dort verabschiedete eine rot-grüne Mehrheit das Harzt-Konzept zur Reform des Arbeitsmarkts. Der Bundestag beschloss mit den Stimmen der Koalition auch die Sparmaßnahmen für das Renten- und Gesundheitssystem. 18 grüne Abgeordnete kritisierten in einer Erklärung den Anstieg des Rentenbeitrags auf 19,5 Prozent als ein „falsches Signal“. Anfang der Woche hatte Joschka Fischer die Kritiker in der Fraktion noch scharf angegriffen. Die Grünen könnten nicht bei jeder schwierigen Entscheidung die Regierungsmehrheit in Frage stellen, sonst drohe eine große Koalition. In der SPD, so Fischer, würden die Nerven blank liegen.

Auch 40 meist jüngere SPD-Abgeordnete stimmten der Rentenerhöhung nur mit dem Hinweis zu, dass die sozialen Sicherungssysteme weiter reformiert werden müssten. Eine entsprechende Erklärung gaben sie zu Protokoll. Der Bundestag verlängerte mit einer eigenen rot-grünen Mehrheit auch das Bundeswehrmandat für den internationalen Antiterrorkampf. Bei den Grünen gab es zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung.

Bereits in der nächsten Woche droht der Regierung neuer Ärger. Die Koalitionsspitzen treffen sich am Sonntagabend, um über die Einzelheiten für den Nachtragshaushalt 2002 und den Etat 2003 zu beraten. Dabei werden voraussichtlich Vorentscheidungen über weitere Einsparungen fallen. Die Gesetze will das Kabinett am Mittwoch beschließen. Berichte über Milliardenfehlbeträge im Etat wies das Finanzministerium gestern als „Unsinn“ zurück. JENS KÖNIG

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