Doch kein New-Age-Rock

Und immer wieder zerschneidet eine Mundharmonika die Idylle: Judah Bauer gräbt heute Abend mit seiner Band 20 Miles im Magnet nach den Wurzeln des Blues

Mit dem Alter, das scheint unvermeidbar, scheint der Mann keine Bäume mehr pflanzen zu wollen, sondern eher nach deren Wurzeln graben zu müssen. Als Musiker landet man da beinahe zwangsläufig beim Blues, und so ist das auch Judah Bauer widerfahren. Den New Yorker Gitarristen unterscheidet von anderen alternden Rockern allerdings, dass er beide möglichen Herangehensweisen, Konstruktion und Dekonstruktion, nahezu gleichberechtigt praktiziert.

Denn Bauer ist einerseits ein Drittel von Jon Spencers Blues Explosion, mit denen er den guten alten Zwölftakter so ausufernd in Lärm oder Elektronik und immer Chaos untergehen ließ, dass der Blues in allen Ehren zu Grabe getragen werden konnte und Spencers Mannen zuletzt nur mehr ein lupenreines Schweinerock-Album als Ausweg blieb.

Andererseits: Die Blues Explosion sei, so sagt Judah Bauer, in erster Linie sein Brotberuf, die money machine und Spencers Experimente mit HipHop-Breakbeats hätten ihn bei den Aufnahmen für „Acme“ an den Rand eines Nervenzusammenbruches gebracht. Mit seinem Bruder Donovan am Schlagzeug gründete er Ende der Neunzigerjahre 20 Miles, die einen zwar respektvollen, bewahrenden Umgang mit dem Blues pflegen, ihn aber beständig mit neuem Leben erfüllen, das ihm klischeehaft vor sich hin bluesende Akademiker längst ausgetrieben hatten.

Anfangs bedienten sich dazu auch 20 Miles des Krachs, erhielten aber jederzeit die Bluesstruktur. Im Laufe der Jahre wurde der Sound der Band immer traditioneller und auf dem aktuellen Album „Keep It Coming“ nun finden sich keinerlei Lärmausbrüche mehr. Bauers Vergangenheit in Noise-Bands, als No-Wave- und Jazz-Fan ist nicht mehr zu hören.

Stattdessen: ein satter Bass, den er, so Bauer, bei der Blues Explosion immer vermisst hat, und ein warmer, freundlicher Klang in Erdfarben. Zusätzlich handeln Bauers Texte nicht von den üblichen Leiden des Bluesmannes, sondern sind „schon fast zu positiv“. „Heal myself, help myself, soothe myself“ singt er da beispielsweise und findet selbst, leicht ironisch: „Das ist New-Age-Rock.“

Ist es natürlich nicht. Eine richtige Bluesplatte aber auch nicht. Es finden sich Boogie-Rhythmen, glasklare Popmelodien, vertrackte R & B-Grooves und herzlich gerade Rocksongs, aber immer wieder kehren 20 Miles zum Blues zurück, zerschneidet eine Mundharmonika die Idylle oder kann man in der Ferne den dampfenden Rhythmus einer Eisenbahn hören.

All das hat Bauer nicht nur selbst aufgenommen in einem improvisierten Studio in seiner New Yorker Wohnung, sondern auch nahezu im Alleingang eingespielt, denn sein Bruder Donovan ist nach San Francisco verzogen, um dort an einer Karriere als Filmemacher zu arbeiten, und spielt deshalb nur mehr auf wenigen Stücken Schlagzeug. Zwar hat Judah sich für einige Songs Gäste eingeladen wie Hollis Queens von Boss Hog, aber schon die Suche nach einem Bassisten verlief erfolglos. Nachdem 25 Kandidaten vorgespielt hatten und keiner seinen Vorstellungen entsprach, beschloss Bauer, sich selbst zu besetzen.

Aber so muss es wohl sein als alternder Mann, so allein: Nach den Wurzeln graben in aller Einsamkeit. THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, Magnet, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg