: Die exotische Freak-Show
Grenzgänger sind die moderneren Menschen: Der Performer und Essayist Guillermo Gómez-Peña lädt beim Berliner Mexartes-Festival zu einem „lebenden Museum der interkulturellen Fetische“ ein
von CHRISTIANE KÜHL
Als Erstes kriegt der tote Hahn eine Ladung Haarspray übergezogen. Der Sprayer, ein Mexikaner, trägt Schlangenlederstiefel zu einem rosafarbenem Tutu, einen Brustpanzer aus Muscheln und Nintendo-Schulterklappen aus Plastik. Ein Postpunk-Schamane womöglich, der vor den Augen des Publikums ein Ritual vollzieht. Oder ein armer Irrer, der das Tier vorher jauchzend beim grausamen Hahnenkampf ins offene Messer laufen ließ. Kann man nicht wissen, ist ja eine ganz andere Kultur.
Rechts liegt ein roher Fleischklumpen zwischen Beck's-Bier-Flaschen und Maschinengewehren, auf einer Leinwand verrenkt sich ein „Authentic Apocalyptic Aztec Dancer“. Eine spärlich bekleidete Mariachi-Braut steigt vom Kreuz. Das Archiv der Phantasmagorien speist sich in der Exotik am besten. Auch im 21. Jahrhundert. „Welcome to Ex-Centris“ grüßt eine Videoleinwand, „ein neues Konzept der Life-Art, entworfen von einem Konsortium internationaler Unternehmen zur Belieferung ihrer kulturellen Ängste, sexuellen Verlangen und revolutionären Bestrebungen.“
„Mexótica 2002 – A Living Museum of InterCultural Fetishes“ nennt Guillermo Gómez-Peña seine Performance, die er am Wochenende im Rahmen des Berliner Mexartes-Festivals vom Haus der Kulturen der Welt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zeigte. Wie alle Arbeiten des 47-Jährigen beschäftigt sich auch diese mit politkulturellen Grenzphänomen und Identitätskonstruktionen. 1978 hatte er, „zu jung für einen Hippie und zu alt für Punk“, seine Heimat Mexiko-Stadt verlassen, um in Kalifornien Kunst zu studieren. Die Enge des mittelamerikanischen Landes, wo Octavio Paz „wie ein Erzbischof“ die alleinige Definitionsmacht über Hochkultur und die wahre mexikanische Identität innehatte, war ihm unerträglich geworden.
Dass er „nach drüben“ ging, machte ihn bei seinen stolzen Landsleuten zum Verräter; die Nordamerikaner nahmen ihn im Gegenzug wie eine weitere Nummer im Heer der „transnationalen Kriminellen und Dieben von Arbeitsplätzen“ auf. In diesem „postnationalen Schwebezustand“, erinnert Gómez-Peña in einem Essay für den Festivalreader, wurden er und eine ganze Generation junger Mexikaner in Kalifornien, „ob wir wollten oder nicht, bewusst oder unbewusst, alle Teil einer Kultur des Widerstands“.
Da es eine geografische Bestimmung von Heimat für ihn nicht mehr gibt, konzeptualisiert sie der in San Fransisco lebende Performer, Essayist und Journalist in seiner Arbeit. Anders als viele lateinamerikanische Künstler in den USA oder Europa entschied sich Gómez-Peña dabei nicht für internationalism, sondern für borderness. Grenzen und Grenzerfahrungen sind Dreh- und Angelpunkt seines Werks, auch in dem Sinne, dass er sie – im Gegensatz zum Verständnis der Nationen – nicht als Wand oder Sackgasse, sondern als Kreuzung und multiperspektivische Orte begreift. Grenzgänger entwickeln hybride Identitäten, was als Fluch oder Segen empfunden werden mag; letztlich sind sie im Jahrhundert der Migrationen die moderneren Menschen. Dass die US-amerikanische Regierung den Zaun zu Mexiko hoch militarisiert, statt bei mittlerweile 35 Millionen Mexikanern in den USA am Abbau der kulturellen, sprachlichen und ideologischen Grenzen zu arbeiten, ist da nur ein Beispiel für Dinosaurierpolitik. Gómez-Peña stellt sich gern als „Dritte-Welt-Nomade in einer verschwindenden Ersten Welt“ vor.
In Berlin baute er mit Juan Ybarra und Ulrike Ulber ein Diorama in das Foyer des Theaters, eine Freak-Show phantasmogorischer Spezies, in denen sich die Wünsche und Obsessionen der Zuschauer spiegeln konnten. Viel nackte Haut, Sombreros, Macheten und Musik waren die Requisiten, die das Bild der Mexikaner als romantische, hypersexualisierte Banditen zeichneten und überzeichneten. Aber Gómez-Peña hätte sich seinen Namen als Ethno-Cyborg und High-Tech-Aztec nicht verdient, blendete er nicht gleichzeitig Klaus Kinskis Rezitation des „Erdbeermunds“ ein, fiktive (abschlägige) Verhandlungen der Aztekengewerkschaft mit Werner Herzog projizierte und ab und an Mitteilungen wie „costumes by Banana Republic“ oder ein plötzliches „conceptual blackout. total identity meltdown. take #3“ dazwischenschnitt.
Die Balance zwischen Intensität und Ironie gelang derart, dass nach etwa zwei Stunden im „lebenden Museums der interkulturellen Fetische“ blonde Frauen sich von Gómez-Peña lausen ließen und Männer sich bis auf die Unterhose entblößt mit kalifornischer Flagge in den Händen unter das Kreuz stellten, an dem nun der einzig mit einer Feder am Schwanz geschmückte Ybarra hing. Dass irgendwann im Laufe des Abends auf einer Leinwand „Tijuana 2006: Capital of World Culture“ geleuchtet hatte, erschien da längst als eine so zwangsläufige wie begrüßenswerte Entscheidung.
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