Ich trink dich leer, ich knips dich aus

Auf ex: Der junge Dramatiker Kristo Šagor inszeniert sein Stück „Durstige Vögel“ am Münchner Volkstheater

Dieser Flughafen ist eine erogene Zone. Draußen die großen Vögel: „Zu fett, viel zu fett, bierbäuchige Krüppel. Pickende Vögel, gierige Vögel. Sie sind laut. Sie stinken. Sie kopulieren.“ Drinnen die kleinen, schlanken Menschen; auch beim Warten noch vor sich selbst auf der Flucht. Gierig! Durstig! Drinnen wie draußen: „Durstige Vögel“.

Das gleichnamige Stück von Kristo Šagor ist drei Jahre alt, die Bochumer Uraufführung war im Dezember 2000, und nun hat es der Autor selbst im Münchner Volkstheater praktisch vom Ende her neu inszeniert – von einem großen Durst aus, der ganz klein daherkommt. Ganz zum Schluss nämlich sagt Gundula zu B: „Stehst du auf Blasen? Ich trink dich leer.“ Und man begreift, dass es die ganze Zeit schon um den Menschen als Säugetier ging, bei dem das quallige Sichfestsaugen am anderen ein Geburtsfehler ist. Dieser Fehler macht, dass uns das Glück so oft durch die Körperöffnungen erreicht. Und so selten bleibt.

Dass die Inszenierung des 26-jährigen Erfolgsdramatikers von diesem Wissen noch voller ist als schon sein Text, das liegt zum Teil an seiner souveränen Hauptdarstellerin: Sophie Wendt spielt Gundula, die Coole, die für den Bettler B vom Fleck weg zum role model wird, was der 17-Jährige für Liebe hält. Bs Freund, der obdachlose Tomasz, macht der starken Gundulas Schwächen zum Objekt seiner Beobachtung, und sie benutzt ihn dafür als Punchingball. Aber nur ein einziges Mal.

Mit seinem langen Mantel und den wissenden Augen erinnert Tomasz (Alexander Duda) ein wenig an Columbo. Florian Stetters B ist ein (allzu) eichhörnchenhafter Junge, der lange nach einem Kompromiss zwischen Coolness und Umarmung sucht. Dann ist da noch Gundulas Ex Peter (Michael Lippold), ein echter Dreamboy – leider aber verantwortungslos. Und der Wachmann Schutte: Bei Karsten Dahlem etwa das, was vom Uniformträger bleibt, wenn er in einem feuchten Männertraum erscheint. Alle Figuren aber tragen diese Äußerlichkeiten bloß als Accessoires um ihren durchweg liebenswerten Menschenkern herum. Um ihre Verletzlichkeit, die gerade bei den vermeintlich Coolsten fast schon durch die Haut schimmert.

Dass sich zwischen Gundula und den vier Männern je ein hochelastisches erotisches Band bildet, das die ganzen zwei Stunden Aufführungsdauer hält, hat neben der magnetischen Sophie Wendt auch Kristo Šagor zu verantworten. Dieser überrascht in seiner ersten großen Regie mit einer Originalität, die nie gefallsüchtig daherkommt und nur gegen Ende ein wenig sehr zur Üppigkeit neigt. Was immer er im Jugendclub des Lübecker Theaters und später bei der Berliner Studentenbühne Trekjop gelernt hat, genaues Timing gehört dazu – und die seltene Kunst, es nicht doof wirken zu lassen, wenn Peter und Gundula „Peter fickt Gundula“ sagen, dabei aufeinander zeigen – und ein dauergrinsendes Brautpaar absolviert eine Etage höher emotionslos eine Stellung nach der anderen.

Bleibt das Geheimnis Gundula: die Begehrend-Begehrte und doch Unantastbare. Mit einer Handbewegung „knipst“ sie Licht und Situationen an und aus und rückt manch anonymem Durchreisetypen in der Flughafenhalle so nah auf die Pelle, als wäre sie selber unsichtbar. Mag sein, dass sie die geheime Regisseurin der Szenerie ist, die inszeniert, um zu vergessen: Dass der Vater, den sie abzuholen vorgibt, vor einem Jahr gestorben ist, und dass die Mutter, die angeblich nur Kopfschmerzen hat, seither die eigene Tochter nicht mehr erkennt.

Alle Hauptfiguren – in der für die Münchner Premiere modifizierten Version selbst der marginale Schutte – dürfen in einem Monolog ihr „Königreich“ beschreiben: Die Natur ihres ganz persönlichen Durstes. Oben, im ersten Stock der kühl-cleanen Bühne, bewegen sich die Nebenfiguren langsam im bläulichen Gegenlicht. Jede einzelne wie in einer Blase. SABINE LEUCHT