: Permanente Gefährdung
Die subjektive Erzählweise des Protagonisten wirft deutliche Schlaglichter auf die Unübersichtlichkeit des totalitären Regimes: Bruni Prasske erzählt in „Was meine Heimat war“ die Geschichte des asylsuchenden Afghanen Massud
Wer kennt sie nicht, die Bilder aus Afghanistan, die im Herbst letzten Jahres über die Bildschirme flimmerten? Karge Gebirgszüge, zerstörte Dörfer und Städte, Frauen im Tschador, Flüchtlingsströme in angrenzende Nachbarländer – die imaginäre Weltkarte kennt seit der „Operation Enduring Freedom“ ein Land mehr: Afghanistan.
Über die Innenperspektive von Menschen, die dort lebten, wissen wir im Gegensatz zu dieser Überfülle an medialen Bildern wenig. Ein weiterer Grund, Bruni Prasskes Was meine Heimat war. Die Odyssee des Afghanen Massud zu lesen. Hier bietet ein Roman eine alternative Geschichtsschreibung an, die aus der Sicht einer Einzelperson einen Einblick in die wechselvolle Geschichte Afghanistans seit Ende der 70er Jahren gewährt.
Basierend auf Interviews und Aufzeichnungen einer realen Person, erzählt Prasske die Biographie von Massud, dessen Schicksal untrennbar mit den politischen Gegebenheiten seines Landes, aber auch mit der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Österreich verbunden ist. Denn Massud kehrte in den 90ern einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land den Rücken zu, um im deutschsprachigem Raum sein Glück zu versuchen. Aber das engmaschige Netz einer Asylgesetzgebung, die einzig von Regierungsseite verkündete Verfolgung kennt, gewährt ihm keinen Schutz. „Unbegründet“ lautet das Urteil des österreichischen Verwaltungsgerichts, das Massuds Asylgesuch ablehnt. Die Taliban würden ihren politischen Gegnern eine Generalamnestie gewähren, heißt es in der Begründung. Wie wenig ein solches Urteil berücksichtigt, dass offizielle Politik und die realen politischen Verhältnisse in diametralem Gegensatz zueinander stehen können, zeigt der vorhergehende Lebensweg von Massud.
Gerade die subjektive Erzählhaltung erweist sich dabei für die Schilderung der Unübersichtlichkeit totalitärer Regime als gewinnbringend. Zunächst schöpft Massud mit jeder neuen Regierung Hoffnung, dass sie ihre Reformversprechen einhalten wird – um wenig später zu merken, dass abermals politische Gegner in Gefängnissen und Arbeitslagern verschwinden. Prasskes biographische Erzählung bringt nahe, dass unter den Bedingungen der Willkürherrschaft kein ungefährdetes Leben möglich ist – die Bedrohung von Zwangsrekrutierung, Folter und Tod ist der Lebenssituation immanent.
DORO WIESE
Bruni Prasske: Was meine Heimat war. Die Odyssee des Afghanen Massud. Hamburg 2002; 378 S., 21,90 Euro
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