: Der Bessermüsser
von HEIDE PLATEN
Hoffnungsträger, Himmelsstürmer, Fischgesicht und Lügenmaul hat er sich nennen lassen müssen. Lügenbaron und Pinocchio mit der langen Nase auch. Die Schwarzgeldaffäre der CDU klebte seit Beginn der Legislaturperiode an ihm. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, 44 Jahre alt, hatte 1999 „brutalstmögliche“ Aufklärung versprochen, musste Anfang 2000 eigene Lügen eingestehen. Die Auseinandersetzungen darum trieben ihn noch mehr an. Er stemmte sich gegen Rücktrittsforderungen. Er tingelte durch die CDU-Kreisverbände, warb an der Basis um Vertrauen, verschmitzt und reumütig wie einer, der beim Kirschenstehlen in Nachbars Garten erwischt wurde einerseits, andererseits aggressiv auf Vorwärtsverteidigung aus. Treue Parteifreunde mussten statt seiner gehen. Er hat erst ein-, dann aus- und durchgestanden, jahrelang ausgesessen.
Das hinterlässt auch bei einem Siegertyp Spuren. Roland Koch ist nicht mehr der „junge Wilde“ seiner Partei. Die Beschreibungen hatten ohnehin schon immer nur äußerlich gepasst: Laptop und Apfelwein, lockeres Auftreten, lässige Scherze. Koch, der 1998 eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zum Wahlkampfschlager seiner Partei gemacht hatte, war immer ein stramm Konservativer. Seine Vorbilder suchte er als gelehriger Schüler stets bei den Altvorderen der Partei: Alfred Dregger, Manfred Kanther, Helmut Kohl. Als Regierungschef lehnte er sich an die benachbarten Landesfürsten Edmund Stoiber und Erwin Teufel an. Roland Koch ist darüber selber grau geworden in den letzten vier Jahren. Kein blondes Haar mehr, die kecke Tolle über der Stirn ist glatt gekämmt, der Hinterkopf kurz geschoren, das Doppelkinn gewachsen. Das runde Jungengesicht mit den vorstehenden Lippen, den Aknenarben, der nach oben gerichteten Nasenspitze, rötet sich leichter als früher.
Koch kommt schnell ins Schwitzen, auch da, wo er es eigentlich nicht nötig hätte. Ende September steht er auf eigenem Terrain im Gelben Salon des Hessischen Landtages, einstmals neoklassizistisches Stadtschloss der Herzöge von Nassau. Zwischen Satin, Blattgold und mit Blick auf die üppigen Busen einer ölgemalten Venus stellt er das Buch „Die Zukunft der Bürgergesellschaft“ vor. Koch ist Herausgeber des Bändchens, das das Ehrenamt lobt.
Es ist der letzte Termin vor dem Urlaub. Und, ungewöhnlich bei dem disziplinierten Hessen, der Ministerpräsident kommt über das akademische Viertel hinaus zu spät. Regierungssprecher Dirk Metz schaut besorgt, telefoniert, vertröstet die Gäste. Koch eilt durch die Hintertür, entschuldigt sich fahrig und müht sich um Lockerheit: „Ich bin das nicht gewohnt, ohne Regierungssprecher zu arbeiten.“
Das klingt wie ein matter Scherz, stimmt aber wohl zu einem Teil. Metz ist die loyale Stimme seines Herrn, ist seinem Chef in den letzten Jahren wie ein Schatten gefolgt, ist ihm kaum einmal von der Seite gewichen. Er beobachtet genau, nimmt jede Geste wahr, hört zu, wie sich Koch durch sein Pflichtprogramm müht. An die Nordsee soll es am nächsten Tag gehen, mit der Familie, Ehefrau Anke und den 14 und 15 Jahre alten Söhnen Dirk und Peter.
Der Regierungschef nestelt an seiner rotblauen Krawatte. Viel gearbeitet habe er zwar, nicht aber an dem Buch, gesteht er hinterher ein. Das sei schließlich auch nicht die Aufgabe eines Herausgebers. Koch blickt so wachsam, als erwarte er die Frage nach einem anderen Koch-Buch. „Vision 21“ war im Wahlkampf 1998 vom in Verruf gekommenen PR-Unternehmer Moritz Hunzinger finanziert worden. Der hat sich dafür kürzlich vor dem Schwarzgeld-Untersuchungsausschuss des Landtages verantworten müssen und bestritt, dass er mit dem defizitären Projekt Wahlkampf für die CDU gemacht habe. Koch habe, Zuschussgeschäft auf Gegenseitigkeit, im Gegenteil seinem gerade neu erworbenen Verlag einen besseren Bekanntheitsgrad verschafft.
Zwei Wochen später, Mitte Oktober, ist Koch wieder da, leicht gebräunt, lässig, ausgeruht diesmal. Am ersten Arbeitstag sitzt auch er im Raum 119 M vor dem Wiesbadener Untersuchungsausschuss. Er wird nichts Neues sagen, er wird, wie schon in Berlin, den Eid verweigern. Koch stilisiert sich in der Spendenaffäre ungebrochen in der Rolle des Aufklärers, der von den millionenschweren Schwarzkonten der CDU in der Schweiz rein gar nichts gewusst habe. Den Ausschuss nennt er „Klamauk“. Und liefert sich ein Duell mit dem Grünen Rupert von Plottnitz, bis zu Kochs Wahlsieg 1999 Justizminister in Hessen. Da scheint etwas durch von einer Emotionalität, die der Ministerpräsident sich meist verbietet, sonst sorgfältig hinter offensiver Offenheit und beherrschter Verbindlichkeit versteckt: Feindschaft.
Schon vor dem Wahlkampf 1998 schien es manchmal, als sei der Adlige sein Lieblingsgegner. Jahrelang hatte die CDU Plottnitz aus der Opposition heraus besonders hart attackiert. Im Untersuchungsausschuss sitzt der nun als Obmann der Grünen und zahlt heim, lässt sich auf das Duell der Juristen ein, das immer dann besonders verbissen klingt, wenn sich beide gegenseitig ihren Respekt voreinander versichern. Koch ist ein gewiefter Gegner, gut vorbereitet auf alle Eventualitäten. Geschickt weicht er aus, ficht hier mit dem Florett, da mit dem Säbel. Er kennt die Akten, nimmt die Fragen vorweg, redet viel und sagt gar nichts. Eine Vereidigung verweigert er mit Verve. Plottnitz unterstellt Koch hinterher, er fürchte die Folgen eines Meineides. Koch fordert für sich mit nur leichter Schärfe die gleichen Rechte „wie für jeden anderen“: Wenn Eid, dann erst nach Ende der Beweisaufnahme. Und verschwindet, „Jetzt lasst mich alle mal dahin gehen!“, dorthin, wohin auch im Hessischen Landtag der Kaiser zu Fuß geht.
Koch führt die Liste seiner Partei auf Platz eins an. Die CDU Main-Taunus nominierte ihn mit 98 von 99 Stimmen. Ein ähnlich hohe Mehrheit wird er wohl auf dem Landesparteitag am Samstag in Fulda bekommen. Angesichts der ersten Monate von Gerhard Schröders zweiter Amtszeit hat Koch gute Chancen, die Landtagswahlen am 2. Februar wieder zu gewinnen. Sein Stehvermögen und zwei Landessiege würden ihn, vorbei an Angela Merkel und dem Reformflügel der Union, als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahlen 2006 akzeptabel machen. Das, sagen Freunde wie Feinde, habe er schon als Student gewollt.
Das wollen auch die Unternehmerverbände, zumindest die mittelständischen. Im barocken Holzhausenschlösschen im Frankfurter Nordend ist der Ministerpräsident Ende Oktober unter seinesgleichen. Die Union Mittelständischer Unternehmen verleiht ihm den diesjährigen Preis für wirtschaftsfreundliche Politik. Koch dienert sich langsam in den ersten Stock, sitzt mit Ehefrau Anke auf dem Ehrenplatz. Heiß ist es im kleinen Saal des Wasserschlösschens, in dem sich fast 100 geladene Gäste drängen. Die Fenster stehen offen, draußen auf dem Teich quaken die Enten. Koch übt sich in bescheidenem Lächeln. Er schwitzt wieder, fächelt sich mit der Speisekarte Luft zu. Wachsam wirkt er nur, als der Chefredakteur des Kölner Unternehmermagazins Impulse, Thomas Voigt, eine pfiffige Rede hält. Den Preis haben vor Koch schon Schröder und Stoiber bekommen. Na bitte, sagt Voigt, der Erste sei auch Kanzler geworden, der Zweite beinahe.
Die Laudatio des Münchner Unternehmensberaters Roland Berger ist ein Hohelied auf Koch, das die Eigenschaften des Ministerpräsidenten auf der unternehmerischen Werteskala ganz oben einordnet: Homo politicus, ehrgeizig, fleißig, intelligent, eloquent, ein „äußerst starker und durchsetzungsfähiger Politikmanager.“ Roland Berger sagt: „Die Person Roland Koch polarisiert. Er wird viel angegriffen, greift aber auch gerne an.“ Das Wort „Schwarzgeld“ fällt nicht. Koch habe, sagt Berger stattdessen, „aus Fehlern gelernt“. Die Enten draußen auf dem Teich quaken nach ungefähr jedem dritten Satz.
Der Preisträger wirkt nicht sonderlich beeindruckt von der Ehrung. Die 2.500 Euro stiftet er der Hessischen Rheumaliga, deren Schirmherrin seine Ehefrau ist. Seine Dankesrede hält er frei, fast eine Stunde lang und weit über die Zeit. Das Menü, Petersfisch und Kalbsrücken, köchelt in den Wärmecontainern, während Koch verkündet, vorerst sei er „gerne und mit Leib und Seele“ Ministerpräsident. Dann malt er da, wo die Unternehmer nur „eine kleine Rezession“ sahen, ein Szenario des wirtschaftlichen Niedergangs der Republik, ruiniert durch die rot-grüne Politik. Der Rest der Rede analysiert die Weltwirtschaftslage und die hessische Situation aus konservativem Blickwinkel. Koch platziert gekonnt ein paar populistische Einsprengsel. Und er ist präziser als die Koryphäe Berger. Seine Rede muss, darunter tut er es nicht, einfach besser sein.
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