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„Ich bin eine 69erin“

von WALTRAUD SCHWAB

Die taz-Genossenschaft hat Glück, denn Claudia von Braunmühl hat sich nach dem Ausscheiden von Elke Schmitter in den Aufsichtsrat wählen lassen. Den Umstand verdankt die taz einer Vakanz in von Braunmühls Stundenplan fürs ehrenamtliche Engagement. Die Politologin mit Schwerpunkt Entwicklungs- und Frauenpolitik folgt einer Maxime: Neben ihrem Beruf lässt sie sich in nie mehr als drei arbeitsintensive Gremien wählen. Als taz-Chefredakteurin Bascha Mika, die mehrere Jahre mit ihr in einer Wohngemeinschaft wohnte, anfragen ließ, war von Braunmühls Amtszeit im Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler vorbei, die 58-Jährige ehrenamtlich also nicht ausgelastet. „Aus Sympathie mit der taz habe ich zugestimmt“, sagt sie. „Als Medienprodukt und Arbeitszusammenhang sollte es die Zeitung weiter geben.“

„Medienprodukt und Arbeitszusammenhang“ – von Braunmühl nennt es in einem Satz. Verwunderlich ist das nicht, denn eine der Stärken der Politologin ist es, Alltag und Welt aus ihren Zusammenhängen heraus zu erklären, nicht als Fülle einzelner Probleme, die partiell zu lösen sind. Als themenübergreifende Aufklärerin schenkt sie neben der taz der Grünen Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung ihre freie Zeit. Zudem ist sie im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

1944 wird von Braunmühl im heute polnischen Kattowitz geboren. Ihre ersten Lebensmonate ist sie gezwungenermaßen ein Nomadenbaby im Flüchtlingstreck gen Westen. Ihre Mutter verschlägt es mit den Kindern nach Kassel. Bei einer alten Hugenottenfamilie, den Ligners, kommen sie unter. Dort widerfährt von Braunmühl als kleines Mädchen etwas Besonderes: Die Großmutter der Gastfamilie gibt ihr Flötenunterricht, nimmt sie mit in die Oper und führt sie in die Welt der Musik ein. „Ich dachte, Figaro singt nur für mich.“ Als Jugendliche lernt sie Cello.

Lehren verboten

Ein weiteres Schlüsselerlebnis: Als 16-Jährige verbringt sie ein Austauschjahr in Texas. Dort ist sie mit institutionalisiertem Rassismus gegen die schwarze Bevölkerung konfrontiert. Für einen Teenager, der versucht, die deutschen Geschichte und den Holocaust zu verstehen, sind das verwirrende Eindrücke. Zudem, so erzählt von Braunmühl, sei gerade amerikanischer Wahlkampf gewesen. Sie wird sowohl Nixon als auch Kennedy vorgestellt und beide versprechen der Bevölkerung, den B 52, den Bomberträger, weiter in Dallas zu bauen. Wie soll sie das alles begreifen? „Warum studierst du nicht Politologie?“, fragt eine Lehrerin. Das macht von Braunmühl dann auch. Bereits als 25-Jährige bekommt sie an der Universität in Frankfurt eine Assistentenstelle.

Die 68er allerdings sind für von Braunmühl eine neuerliche Zäsur, obwohl sie eigentlich gar nicht dazu gehört. „Ich bin eine 69erin“, sagt sie. Eine, die erst durch ihre Arbeit an der Uni feststellt, dass sie auf Fragen, die sie seit zehn Jahren bewegen, in der von den 68ern aufgenommenen „Kritischen Theorie“ wesentliche Antworten findet. Das hat ihr in den 70er-Jahren prompt „die Entfernung aus der Universität“ eingebracht. „Unterschätzen Sie die Katastrophe nicht, die es für mich bedeutete.“ Sie geht vors Arbeitsgericht; es kommt zum Vergleich: Die Hochschule muss sie drei Jahre weiter anstellen, sie darf aber nicht lehren.

In jener Zeit experimentiert sie mit Schauspielerei. Mobiles Rhein-Main-Theater. „Aufklärerisch und agitatorisch war man, wie es sich damals gehörte.“ Berufsverbot, IG-Metall-Streik, Rationalisierung sind die Themen. Von Braunmühl merkt, dass es trotz aller aufklärerischen Ideen eben „Theater“ ist, was sie macht. Ihr dagegen ist die direkte Auseinandersetzung, das Gespräch mit den Menschen, lieber.

Crossover in Jamaika

Umwege führen sie 1980 als Beauftragte des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) vier Jahre nach Jamaika. „Eine politisch wache Bevölkerung, die Schönheit der Natur, die Großzügigkeit der Menschen“, das ist die eine Seite, die von Braunmühl dort kennen lernt. Als bekannt wird, dass sie Cello spielen kann, wird sie aufgefordert im „Nationalorchester“ in Kingston mitzuspielen. Das öffnet ihr die Tür zu der einheimischen Bevölkerung, denn Musik, auch klassische, „ist gesellschaftliches Crossover“.

Die andere Seite aber ist „die damalige konservative Wende in Jamaika und der Beginn der neoliberalen Strukturanpassungspolitik“, die das gewachsene soziale und kulturelle Gefüge des Landes bereits auseinander reißt. Entwicklungspolitisches Arbeiten scheint ihr unter diesen Voraussetzungen bestenfalls ein Versuch zu sein, „das zu kitten, was auf höheren Ebenen ständig neu aufgerissen wird“. Das vertritt sie dem DED gegenüber so, und „nach vielen Diskussionen und mit großer Trauer“ arbeitet sie auf die Schließung des Programms in Jamaika hin. Nicht ohne später im Auftrag des DED die 17 Jahre Entwicklungspolitik im Land exemplarisch aufzuarbeiten. Die Umwandlungsprozesse sollen verstanden werden, denn zu Recht sieht sie voraus, wie sich in vielen Ländern ähnliche Entwicklungen anbahnen.

Mitte der 80er-Jahre zieht von Braunmühl nach Berlin, wo sie bis heute lebt. Sie arbeitet als entwicklungspolitische Gutachterin. Wobei Entwicklungspolitik sich nicht nur auf „Entwicklungsländer“ bezieht, sondern auch auf die Aufarbeitung entwicklungsfähiger Zustände in den Industrieländern. Von Braunmühl berücksichtigt bei ihren Analysen dezidiert die Situation von Frauen. „Zu sozialer Gerechtigkeit gehört Geschlechtergerechtigkeit. Diskriminierung ist Demütigung. Das weiß ich auch aus eigenen Erfahrungen.“ Inzwischen ist sie als Politologin Honorarprofessorin an der Freien Universität geworden. Der alte Traum! „Eine Honorarprofessur hat aber nichts mit Honorar zu tun“, sagt sie. Gemeint ist das englische „honor“, Ehre. In Wirklichkeit: ein weiteres Ehrenamt.

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