: Geigenkurs für Brasiliens Linke
IWF und Weltbank stellen Präsident Lula Milliardenkredite in Aussicht. Im Gegenzug wünschen sie Neoliberales. Die Arbeiterpartei PT wird das kurzfristig akzeptieren
PORTO ALEGRE taz ■ Die Besucher aus Washington gaben sich die Klinke in die Hand: In der letzten Woche traf eine Mission des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Brasília zu ersten Gesprächen mit dem Wirtschaftskernteam der Arbeiterpartei PT zusammen. Und nachdem der gewählte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den US-Lateinamerikabeauftragten Otto Reich begrüßt hatte, empfing er Weltbank-Chef James Wolfensohn.
Von seinem Brasilientrip nimmt Wolfensohn den Eindruck mit, dass weite Teile der Gesellschaft den Präsidenten bei der Armutsbekämpfung unterstützen. Lula sei fähig, „nicht an einem Tag, sondern jahrelang Ressourcen und Aktion zu bündeln, und dadurch die Gesellschaft zu verändern.“ Die soziale Verantwortung der Reichen sei „ganz anders als vor fünf Jahren“ zum Thema geworden. Dieser Konsens sei für die Armutsbekämpfung wichtiger als die Höhe der dafür aufgewendeten Gelder. Bisherige Zusagen mitgerechnet, will die Weltbank Brasilien in den kommenden drei Jahren 14,5 Milliarden US-Dollar leihen.
Die IWF-Emissäre stellten ebenfalls „große Gemeinsamkeiten“ mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen des zukünftigen PT-Ministers Antonio Palocci fest. Der liberale Palocci leitet das 50-köpfige Team, das in der Hauptstadt eine Bestandsaufnahme in den Ministerien vornimmt – Lula tritt sein Amt am 1. Januar 2003 an.
Für das Antihungerprogramm und andere Sozialmaßnahmen werde der straffe Stabilitätskurs der jetzigen Regierung nicht aufs Spiel gesetzt, konnte Palocci glaubhaft versichern.
Entwarnung auch in Rio: Dort kamen 400 Manager, Banker und Politiker zu einem Regionaltreffen des Weltwirtschaftsforums zusammen. Nur jeder fünfte Teilnehmer befürchtete, Lula könne trotz der hohen Erwartungen des Wahlvolkes auf rasche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse von der allseits empfohlenen Sparpolitik abkommen. „Die Macht ist wie eine Geige“, fasste ein mexikanischer Berater das Credo der Anwesenden zusammen: „Man packt sie mit der Linken und spielt sie mit der Rechten.“ PT-Senator Aloizio Mercadante bat Kenneth Dam, Staatssekretär im US-Finanzministerium, um Hilfe bei der Erschließung neuer Kreditlinien.
Mit ihrer Umarmungsstrategie setzen internationale Finanz-Community, IWF und Weltbank auf eine Fortsetzung der bisherigen neoliberalen Politik. „Präsident Cardoso wollte die Wirtschaft umstrukturieren und Brasilien für die internationale Arbeitsteilung fit machen“, sagt der Agrarökonom Helcio Souza. Seine Ziele und Mittel, „die vollständige Öffnung des Binnenmarktes, monetäre Stabilisierung, Strukturanpassung, Privatisierungen, ein Ende des Staatsinterventionismus“, habe Cardoso jedoch nicht vollständig erreicht. In der brasilianischen Umweltpolitik etwa sei die „strategische Rolle“ der Weltbank bei der Entwicklung „neuer, transnationaler Herrschaftsformen bei gleichzeitiger Zurückdrängung der Nationalstaaten“ besonders deutlich geworden. Dass Lula davon abkommen will, gilt als sicher. Kurzfristig scheint es jedoch kaum eine Alternative zur marktliberalen Orthodoxie zu geben. Entsprechend positiv reagieren die Märkte: Der Dollar sinkt ebenso stetig wie das Länderrisiko für Anleger.
Lulas Antihungerprogramm, seit dem Wahlsieg sichtbarstes und breit diskutiertes Symbol für die soziale Wende, sei in Wirklichkeit eine „Notlösung“ für den Beginn der Regierungszeit, bei dem die „Systemzwänge keine größeren Innovationen erlauben“, analysiert der Politologe Luiz Werneck Vianna. Doch mittelfristig müsse Lula bei der Steuer- und Rentenreform Farbe bekennen: „Wenn nichts umverteilt wird, wird sich die Regierung nur schwer halten können.“
GERHARD DILGER
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