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Rätselhafter Kreml

Wladimir Putin hat sein Veto gegen das verschärfte russische Presserecht eingelegt – doch die Repressionen gegen kritische Medien gehen weiter

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Wladimir Putin persönlich hat dafür gesorgt, dass die Verschärfung des Pressegesetzes, die die Duma unmittelbar nach der Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater Nord-Ost in Gesetzesform gießen wollte, noch mal überarbeitet werden muss. Anlass ist ein offener Brief an den Kreml, in dem namhafte Pressevertreter den Präsidenten baten, im Interesse der Freiheit des Wortes das Gesetz nicht abzusegnen. Putin hat den Entwurf nun an die beiden Kammern des Parlaments zurückverwiesen und sie beauftragt, eine Expertenkommission mit der Überarbeitung zu betrauen.

Die vagen Formulierungen im ersten Projekt hätten eine Berichterstattung in Krisensituationen nach Meinung von in- und ausländischen Beobachtern – darunter auch der OSZE – erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Putin ließ durchblicken, dass er trotz des Vetos mit der Berichterstattung unabhängiger TV-Sender im Zusammenhang mit der Geiselnahme nicht einverstanden ist. Besonders der TV-Sender NTW war ins Fadenkreuz des Kreml geraten, als er kurz vor dem Sturm Bilder von aufmarschierenden Alpha-Spezialeinheiten zeigte. Dass der Sender damit zu weit gegangen ist, wird auch von Medienkreisen nicht bestritten.

Allerdings bezweifelt auch niemand, dass dem Kreml der Vorfall ganz gelegen kam. Kritische Berichterstattung, das hat Wladimir Putin seit Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren regelmäßig unter Beweis gestellt, genießt in seinem Denken keine Priorität. Im Gegenteil.

Der Vergleich mag ein wenig degoutant sein; der Eingriff des Kremlchefs – die Zurechtweisung der Duma – erinnert an das Spektakel des irakischen Parlaments, das Saddam Hussein aufforderte, die UN-Resolution zurückzuweisen. Beschränkt sich die Analogie darauf, dass sich in beiden Fällen die weisen Staatsoberhäupter über die Kurzsichtigkeit der Deputierten erheben und ihre Rolle als Auserwählte unterstreichen? Oder reicht die Ähnlichkeit noch weiter? Schließlich hatte die Kreml-nahe handzahme Mehrheit der Duma die Verschärfungen initiiert.

Brandmeister Lesin

Eins zumindest ist klar: Der Kreml hat dem Parlament ein weiteres Mal gezeigt, dass es nur die Rolle eines willfährigen Akklamationsorgans innehat. Inzwischen machen schon Gerüchte die Runde, wonach Presseminister Michail Lesin die ganze Angelegenheit eingefädelt hat. Wie gesagt, es sind Gerüchte. Lesin hatte indes schon mehrfach in der Rolle des „Ethikbeauftragten“ für den Präsidenten Kohlen aus dem Feuer geholt.

Minister Lesin, der Intendant des auf Linie gebrachten staatlichen Ersten Kanals, Konstantin Ernst, und Alexej Wenediktow waren unterdessen die treibenden Kräfte, die die Petition an Präsident Putin anregten. Wenediktow ist Chefredakteur der unabhängigen Radiosender „Echo Moskaus“ und „Arsenal“. Er war schon oft in die Schusslinie des Kreml geraten. So etwas fördert den Pragmatismus.

Wladimir Putin steht derweil glänzend da und bewies, dass er neben Macht auch Entschlusskraft besitzt. Westlichen Politikern, die vom Putin-Bild ihrer Medien permanent irritiert werden, signalisiert der Kremlchef auch etwas Beruhigendes: Ausgewogenheit in der Berichterstattung ist das Ziel, der Sensationsheischerei ist im Interesse der Staatssicherheit ein Riegel vorzuschieben. Welcher Politiker wollte dem nicht zustimmen?

Unterdessen beschlagnahmte der Inlandsgeheimdienst FSB Ende letzter Woche in Irkutsk den Computer des ökologischen Senders „Baikal-Welle“. In Perm ging der FSB gegen die unabhängige Zeitung Swesda vor, die es gewagt hatte, den Gouverneur zu kritisieren. Und dem Sonderbeauftragten des Präsidenten im Uralgebiet legte der FSB eine Liste mit 65 vermeintlich extremistischen unabhängigen Presseorganen vor. Sollte wirklich nur der Zufall am Werke sein?

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