: Mit dem Web gegen die Pressezensur
Die russische Aktivistin Alisa Nikulina von der Ökogruppe Ecodefense über die Probleme beim Kampf gegen Umweltverschmutzung in ihrem Land
Interview BARBARA KERNECK
taz: Die Websites von Ecodefense sind sehr beeindruckend, vor allem die Site der Anti-Kernkraft-Bewegung. Steht da eine große Organisation dahinter?
Alisa Nikulina: Wir sind eine internationale Organisation. Entstanden vor 10 Jahren in Königsberg, haben wir heute dort noch ein Zentrum, außerdem in Moskau, Woronesch, Dresden und Koslodyny in Bulgarien. Jedes Zentrum verfolgt Spezialaufgaben, die oft mit den lokalen Umweltproblemen zusammenhängen. Moskau kümmert sich um die Antiatomkampagne. An all diesen Orten arbeitet jeweils eine Handvoll Festangestellter. Dazu kommen bei bestimmten Kampagnen einige Dutzend Freiwillige. Bei Demos können wir manchmal tausende mobilisieren. Bei unseren Aktionen gegen die Lagerung ausländischen Atommülls in Krasnojarsk haben sich die Leute uns direkt von der Straße weg angeschlossen.
Gibt es in Russland mehrere Organisationen dieser Stärke?
Eigentlich nur noch die internationalen wie Greenpeace oder der WWF. Sonst sind für unser Land eher die kleinen, lokalen Vereine typisch. Aber es gibt eine mächtige Dachorganisation, den Sozial-Ökologischen-Bund, in dem sich über 300 von ihnen zusammengeschlossen haben. Das ist die größte Ökovereinigung in Europa und Asien.
Bekommen Sie auch Geld aus dem Ausland?
Nur von dort. In Russland ist es heute sehr schwer, Mittel für ökologische Zwecke flüssig zu machen.
Die BürgerInnen Russlands sind also nicht so empfänglich für Ökoprobleme?
Doch eigentlich schon. Schließlich haben sie Tschernobyl als Unfall im eigenen Lande erlebt. Und in den Volksbefragungen zur Einfuhr ausländischer atomarer Abfälle haben sich 80 bis 90 Prozent der Bürger dagegen ausgesprochen. Aber wenn man die Situation heute und vor zehn Jahren vergleicht, so hat die politische Aktivität insgesamt nachgelassen. Das hängt auch mit der sozialen Situation zusammen. In der Provinz sind viele Menschen nur mit dem Gedanken beschäftigt, wo sie am morgigen Tag etwas zu Essen herbekommen.
Trotzdem halten sich die kleinen Ökovereine.
Sie treiben fantastische Blüten. Zum Beispiel hat eine junge Frau in Osjorsk bei Tscheljabinsk eine Gruppe namens „Planet Nadjeschdy“ (deutsch: Planet der Hoffnung) gegründet. Sie selbst heißt auch Nadjeschda (Hoffnung). Osjorsk ist eine geschlossene Stadt. Das heißt, dort dürfen keine Ausländer hin. Beherrscht wird das Leben dort von der Wiederaufbereitungsanlage Majak. An solchen Orten herrscht eine besondere Mentalität. Jeder in der Atomfabrik kennt die Gesichter der Leute von „Nadjeschda“, und die Direktion betrachtet sie als ihre persönlichen Feinde. In Nowosibirsk haben sich Naturwissenschaftler zu dem Verein „Gelehrte Sibiriens für globale Verantwortung“ zusammengeschlossen. Sie nehmen unabhängige Messungen vor.
Und wie klappt die Zusammenarbeit der Ökogruppen untereinander bei den riesigen russischen Entfernungen?
Früher war diese Kommunikation sehr teuer. Heute rettet uns das Netz. Überhaupt habe ich angesichts der zunehmenden Pressezensur bei uns an vielen Tagen gar keine Lust mehr, den Fernseher anzuschalten oder eine Zeitung zu kaufen. Ich gehe lieber gleich online. Einen eisernen Vorhang wird es deshalb nie mehr geben.
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