Handelskrise im alten Markt

Die Markthalle an der Kreuzberger Eisenbahnstraße steht zur Hälfte leer. Händler klagen über hohe Mieten, Anwohner über ein unattraktives Angebot. Gemeinsam suchen sie nach neuen Konzepten

von CHRISTIANE GROSS

Zwei Händler stehen zusammen und wärmen sich die Hände an ihren Kaffeetassen. Wer den Weg zu ihnen findet, wird freudig begrüßt. „Na, Hermann, wie geht’s denn heute?“ – „Muss ja, muss ja.“ Die meisten Kunden eilen jedoch Richtung Aldi. Vorbei an den historischen Ständen, die mit ihrer Verkleidung aus Sperrholz einen etwas schmuddeligen Eindruck machen und zum Teil seit Jahren verlassen sind.

„So geht es nicht weiter“, sind sich die Händler der Eisenbahnmarkthalle in Kreuzberg mit Christoph Albrecht von der AnwohnerInnengruppe Lausitzer Platz einig. Die Halle in der Eisenbahnstraße stehe fast zur Hälfte leer, kritisiert Albrecht. Viele Händler klagen über die hohe Standmiete von 30 Euro pro Quadratmeter. „Man sollte die Miete halbieren, zumindest befristet“, schlägt Kornelia Harjehusen vor, die hier Vollkornbrot verkauft. Viele Händler müssten sonst ihre Stände aufgeben. „Wenn immer weiter gekündigt wird, macht die Halle bald ganz dicht“, fürchtet Harjehusen.

Die Eisenbahnhalle ist eine von vier noch existierenden historischen Markthallen in Berlin. Errichtet wurden zwischen 1883 und 1892 fünfzehn solcher Backsteinbauten. Heute gibt es noch je eine an der Ackerstraße in Mitte, an der Arminiusstraße in Tiergarten sowie in Kreuzberg auf dem Marheinekeplatz und an der Eisenbahnstraße. In der Ackerhalle finden sich heute nur noch wenige Marktstände, Hauptmieter ist ein Extra-Supermarkt. Der Bau aus der Gründerzeit wurde gerade saniert. Nun setzt Extra in der Halle sein neues „Fresh & Easy“-Konzept um: Am Fischstand rauscht das Meer und Möwen kreischen, ums Weinregal ranken sich Reben.

Eigentümer der anderen drei Hallen ist die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH. Diese hat die Gebäude seit 1970 an die „Markthallen Verwaltungsgenossenschaft e. G.“ vermietet. Dass die Eisenbahnhalle nicht gut läuft, bedauert der GmbH-Geschäftsführer Rolf Brauer: „Aber das ist ein Problem der Genossenschaft“. Die entscheide auch über die Höhe der Standmiete. Zurzeit bezahlen alle Händler dieselbe Miete, egal in welcher Halle sie ihren Stand haben. Das erscheint vielen ungerecht. „Die Marheinekehalle brummt, auch die Arminiushalle läuft ganz gut. Die Eisenbahnhalle ist dagegen halb leer und heruntergekommen, außerdem haben die Leute hier in der Gegend wenig Geld“, klagt eine Händlerin. Sie hofft auf eine Mietsenkung. Der geschäftsführende Vorstand der Markthallengenossenschaft, Michael Bahr, lehnt die Einführung differenzierter Mieten bisher jedoch ab.

Kezibar Yücekaya von Feinkost-Helin, die seit sechs Jahren täglich Nudeln, Wurst und Käse verkauft, ist auf Bahr nicht gut zu sprechen. „Das ist doch nur ein Verwalter, er hat weder Ideen für die Halle noch Verständnis für unsere Probleme. Kündigen Sie doch, wenn’s Ihnen nicht passt, hat er neulich zu mir gesagt“, schimpft die Marktfrau. Sie hat die Kündigung für ihren Stand schon geschrieben, obwohl sie lieber bleiben würde. Doch dann müsste sich einiges ändern in der Halle: „Man müsste renovieren und aktiv neue Standbetreiber gewinnen, ein attraktives Angebot schaffen“, so Yücekaya.

Darin sieht auch Christoph Albrecht von der AnwohnerInnengruppe die Zukunft der Halle. Dass Kaufkraft und Bedarf in der Gegend vorhanden seien, sehe man am wöchentlichen Ökomarkt auf dem Lausitzer Platz, der sich in den drei Jahren seines Bestehens flächenmäßig verdoppelt habe. „Solche Stände könnte man doch in die Halle holen, auch tageweise“, meint Albrecht. Auf jeden Fall solle keine Supermarktkette Hauptmieter werden wie in der Ackerhalle: „Das ist ja Disneyland dort.“

Gedanken über die Zukunft der Eisenbahnmarkthalle hat sich auch Birgit Arkenstette gemacht. Sie ist Geschäftsführerin der benachbarten Putzmunter GmbH, einer Dienstleistungsagentur, die Frauen als Putz- und Bügelhilfen vermittelt. Arkenstette würde die Halle gern übernehmen. Der Mietvertrag mit der Markthallengenossenschaft läuft aber noch bis 2016. „Ohne Genossenschaft geht da gar nichts“, so Rolf Brauer von der Großmarkt GmbH.

Der Kreuzberger SPD-Abgeordnete Stefan Zackenfels sieht das anders: „Das ist auch eine politische Entscheidung, schließlich ist letztendlich der Senat Eigentümer der Hallen. Wenn der Druck ausreichend groß ist, wird man nicht umhinkommen, sich mit der Genossenschaft auseinander zu setzen.“

Dass den Anwohnern das Problem auf den Nägel brennt, bewies eine Diskussionsveranstaltung der Anwohnerinitiative zum Thema „Halbe Miete – volle Halle?“ 200 Menschen wollten über die Zukunft der Eisenbahnhalle reden. „Diesen Schwung müssen wir nutzen“, so Albrecht. Eine Gruppe von zwölf Anwohnern und Unternehmern will nun mit Hilfe einer Kundenumfrage und eines Workshops bis März ein neues inhaltliches Konzept für die Halle entwickeln.