piwik no script img

Gemischtes Doppel

Ein mächtiges märkisch-mongolisches Mittelschichts-Mingling inmitten von Marzahn: Die Geschichte von zwei mongolischen Tänzerinnen, die Mitte der Neunzigerjahre zwei Brüder aus Berlin heirateten

von DONDOG BATJARGALund GHOSTDOG HÖGE

Bis 1990 war es in der Mongolei quasi verboten, jemanden aus dem westlichen Ausland zu heiraten. So war es denn auch ein großer Skandal, als die Studentin Tsolmon 1970 in Budapest einen Afroamerikaner heiratete. Sie musste sofort den Ostblock verlassen, und der Geheimdienst las fortan ihre Briefe, die sie nach Hause schrieb. In der Schweiz trennte sie sich von ihrem Mann. In den Achtzigerjahren sorgte der Fall Oyuunaa schon nicht mehr für Schlagzeilen: Die in Leipzig studierende Mongolin hatte einen Engländer geheiratet – und musste ebenfalls ihrem Mann in den Westen folgen. Sie lebt heute allein in Paris. Darüber an dieser Stelle demnächst ausführlicher.

Hier geht es erst einmal nur um zwei Tänzerinnen, die Mitte der Neunzigerjahre zwei Brüder aus Berlin heirateten – ohne dafür zu Hause noch Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, höchstens dass sie dann hier – wie üblich – von den Ausländerbehörden und anderen Ämtern schikaniert wurden. Trotzdem verheirateten sich bis Mitte der Neunzigerjahre 70 Frauen aus der Mongolei mit deutschen Männern, heute sind es über 300, hinzu kommen noch etwa fünf Männer, die eine Deutsche heirateten.

Die 24-jährige Tänzerin Hulan war 1994 auf einer Tournee in der Schweiz gelandet – in Engelberg, wo ein internationales Kulturfestival stattfand. Im Hotel „Edelweiß“ arbeitete ihr späterer Ehemann Heiko – als Koch. Sie trat dort mit ihrem Ensemble abends auf. „Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick“, erzählte Heiko später. Die beiden gingen zunächst zusammen spazieren, wobei sie sich halb auf Englisch, halb auf Russisch und nicht zuletzt auch mit den Fingern verständigten. Nach zwei Monaten musste Hulan jedoch wieder in die Mongolei zurück. Heiko schickte ihr dann eine Einladung aus Berlin.

Bereits nach einem Jahr heirateten sie, kurz danach wurde ihre Tochter Julia geboren. Hulan hatte bereits ein Kind aus erster Ehe: Tulgaa, er besucht zur Zeit die 7. Klasse eines Marzahner Gymnasiums und nennt seinen Stiefvater inzwischen „Papa“.

Ende letzten Jahres bekam das Ehepaar Fischer eine weitere Tochter: Joanna. Gelegentlich macht die Familie Urlaub in der Mongolei. Nachdem Heikos älterer Bruder Carsten den Wunsch geäußert hatte, ebenfalls mit einer Mongolin liiert zu sein, machte Hulan ihn mit der Tänzerin Undraa bekannt, als diese hier einen Auftritt bei einem mongolischen Kulturfestival hatte. Prompt heirateten auch die beiden. Sie leben jetzt ebenfalls in Marzahn. Das Heim der Familie Fischer ist nebenbei noch Berliner Stützpunkt der mongolischen Rockgruppe Haranga. Die zehn Musiker traten 1997 zum ersten Mal in Berlin auf.

Über Hulan lernte auch Heiko die Band dann näher kennen – und schätzen: „Wenn ich abends nach Hause komme, lege ich ihre CDs auf, aber auch auf Arbeit höre ich sie gerne.“ Einmal fragte ihn sein Chef erbost, warum er ständig diese exotische Musik höre. „Ich kann damit besser kochen“, antwortete Heiko frank und frei.

Beim letzten Mal, als die Band Haranga in Berlin auftrat, erschien Heiko drei Tage lang nicht auf Arbeit – und verlor deswegen seinen Job, dafür konnte er viele Lieder von Haranga auswendig. Auch die Nachbarn im Marzahner Wohnblock waren nicht amüsiert über die tagelange Party. Auf ihre Forderung, die Musik leiser zu stellen, antwortete Heiko ihnen: „Wir hören gar keine Musik, wir singen selbst!“ Kurz darauf bezog das Ehepaar eine größere Wohnung – ebenfalls in Marzahn, außerdem legten sie sich ein neues Auto zu. Hulan meint: „Heiko ist ein guter Mann, er lebt nur für seine Familie“, umgekehrt sagt Heiko: „Hulan ist sehr schön und sie hat ein gutes Herz!“

Manchmal muss Heiko monatelang in einer anderen Stadt arbeiten, während Hulan den Haushalt und die Kinder versorgt. Gelegentlich besucht sie ihre Schwiegereltern, die auch in Marzahn wohnen. Mit diesen gibt es keine Probleme, dafür haben die beiden mongolischen Schwiegertöchter untereinander eine Art Konkurrenzverhältnis. Wenn sie sich treffen und miteinander reden, verzieht sich Heiko in die Kneipe, wie er sagt. In seiner Freizeit spielt er Fußball, und sein Traum wäre es, Fußballtrainer in der Mongolei zu werden.

1997 eröffneten Hulan und Heiko in Marzahn ein mongolisches Restaurant namens „Südspitze“, das jedoch nicht gut lief. Hulan könnte sich vorstellen, es umgekehrt noch einmal in Ulan-Bator zu versuchen. Bis dahin lädt sie regelmäßig ihre Mutter aus der Mongolei zu sich nach Marzahn ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen