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Im Labyrinth des Genres

Patrícia Melo verabreicht in ihrem Debüt „Ich töte, du stirbst“ das schleichende Gift des Kriminalromans

Popcorn. Modeschmuck. Wodka und Coca-Cola. Rosa Duschhaube. Orangenkuchen. Patrícia Melo feuert mit vollen Händen Requisiten auf die Bühne ihres Romans „Ich töte, du stirbst“, und manchmal scheinen die Figuren beinahe darunter zu ersticken: Popcorn. Schmuck. Wodka. Duschhaube. Kuchen. Im gleichen Rhythmus, in dem die Welt auf die junge Rita Marcondes und den namenlosen Kanzleiangestellten einstürmt, stürmt auch die Erzählung selbst voran: Staccatoartig, abgehackt, und bedrohlich klingen die Worte, und man kann ihnen niemals wirklich trauen – genauso wenig, wie Rita den Dingen traut.

„Ich töte, du stirbst“ – wer tötet hier wen, und wer erzählt vom Töten? Beide Geschichten, zuerst die von Rita und ihrem Mann Rubão und dann die von dem Angestellten und seiner Nachbarin Célia, haben zunächst nichts miteinander zu tun: Rita verdächtigt ihren Mann, der gefürchtete Frauenmörder von Lapa zu sein; der Angestellte wird nach langen Berufs- und Ehejahren aus seiner gleichmäßigen Bahn geworfen und ist plötzlich davon überzeugt, dass jeder Mensch mindestens einen Mord begehen sollte – als notwendige, befreiende Übung.

Ich töte, du stirbst …: Eher als ums Töten geht es bei Patrícia Melo um das Reden und Nachdenken darüber. Die Gewalt kommt nicht von außen, sondern sie nistet sich leise in den Köpfen der Menschen ein, leise, unmerklich und langsam – wie ein schleichendes Gift. „Aqua Toffana“ heißt der Roman im brasilianischen Original, nach dem tückischen Gift, das Rita zufällig im Keller entdeckt: Es ist nicht nachweisbar, wirkt auf lange Sicht aber absolut tödlich. Rita ist überzeugt, ihr Mann verabreiche ihr dieses Gift in kleinen Dosen und daher rührten ihre rasenden Kopfschmerzen und ihre Übelkeit. Ich töte, du stirbst?

Rita glaubt schließlich, die Erklärung für alles in einem Erlebnis in Rubãos Kindheit gefunden zu haben, das sie nach und nach aufdeckt und häppchenweise weitererzählt. Aber was, wenn der Kommissar Recht behielte, der Rubãos Biografie lückenlos dokumentiert hat und der von einem solchen Erlebnis nicht wissen will?

Immer wieder werden Ritas Geschichten gebrochen, unterbrochen durch die listenartige Aufreihung der Filme, die sie sich Tag und Nacht ansieht: Titel, Land, Jahr der Produktion, Länge des Filmes, Regisseur und Hauptdarsteller. Weiter nichts. Keine Inhaltsangabe, keine Nacherzählung, kein direkter Bezug zum Geschehen im Roman. Die Ebenen mischen sich, Ritas Erzählungen sind nicht vertrauenswürdiger als diese Filmzitate, und auch die Schnipsel aus der Tagespresse, mit denen sie ihren Bericht anreichert, lassen das Gesamtbild der Collage nicht klarer erscheinen. Ist nicht vielleicht Rita die Psychopathin und Rubão völlig harmlos?

Patrícia Melos Debüt, „Ich töte, du stirbst“, ist kein klassischer Kriminalroman. Es ist nicht einmal klar, ob überhaupt gemordet wird – ähnlich wie in „Wer lügt, gewinnt“ und „O Matador“, zwei ihrer späteren Romane, die bereits ins Deutsche übersetzt worden sind. Auch in diesen Büchern verstricken sich die Protagonisten in unhaltbaren Situationen, auch hier gibt es für die kriminalistischen Verwicklungen viele Worte und wenig Erklärungen, und Romangestalten ebenso wie Leser drohen sich in Melos Labyrinthen zu verirren. Dass Rita sich bei ihren ausführlichen Erzählungen immer wieder zur Genauigkeit zwingt, hilft ihr wenig: Auch wenn man die Suche nach einem Ausweg mit Präzision betreibt, führt so schnell kein Weg aus dem Labyrinth. Ich töte, du stirbst. ANNE KRAUME

Patrícia Melo: „Ich töte, du stirbst“. Aus dem Brasilianischen von Barbara Mesquita. Klett-Cotta, Stuttgart 2002, 149 S., 16 €

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