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Gefrorene Liebe

Mit Filmmusik und Schattenrissen: Michael Thalheimer inszeniert „Liebelei“ am Hamburger Thalia Theater. Was die Menschen trennt, steht wie aus hartem Stein

Der Stillstand, der in der Luft liegt, ist hier nicht das Glück des Moments

Das Kreuz baumelt an einem schwarzen Lederband. Ein modisches Accessoire an der Brust, an die sich Fritz mit wohlgesetzter Geste fasst, als greife er nach etwas Liebe, etwas Leben. Griffe ins Leere, die sich mit anderen summieren und ins Unheil führen. Als Michael Thalheimer vor einem Jahr in Berlin Lessings „Emilia Galotti“ inszenierte, durften sich die verzweifelt Liebenden noch auf die Brust klopfen, dorthin, wo das Herz schlägt. In Arthur Schnitzlers „Liebelei“ ist nicht mehr viel Saft zum Durchpumpen da, den Figuren ist das Leben entwichen, und der harte Boden, auf dem sie auf- und abtreten, ist wie die drei Bühnenwände mit grauen Steinplatten ausgelegt.

Ein Sarkophag mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt: Es ist Thalheimers Markenzeichen, Stücke konsequent zu enthäuten, Text und Handlung zu stutzen, die Figuren theaterskeptisch auf wenige Gesten zu reduzieren. In „Liebelei“ holt er anfangs ihre Gesichter in den Vordergrund, projeziert sie riesengroß auf eine durchscheinende Leinwand. Den Grundton dazu schlägt der düstere Takt der Tinderstick an, dessen „Trouble every day“, Titelsong aus dem gleichnamigen Film von Claire Denis, leitmotivisch übernommen ist. „Smile“ wird darin als erstes Wort gesungen, und während die Gesichter auf der Leinwand diabolisch lächeln, setzen sich die Figuren davor wie Schattenspieler in Pose. Felix Knopp als Theodor, der den Oberkörper kreiseln lässt, Fritzi Haberlandt als leichtlebige Mizi, die ihre Hüften in die Seiten wirft, als könne sie darin die Welt in Unruhe versetzen. Fritz, der regungslos da steht. Dazwischen ist Maren Eggert als Christine das ungelenke ernste Mädchen, das für den Körper noch keine Posen hat.

Auf der Soiree herrscht Weltschmerz statt Partystimmung. Man plaudert, aber langweilt sich, schaut betreten auf die Schuhe, und das reicht aus, um ganz furchtbar mit sich selbst beschäftigt zu sein. Entschlossen, aber nicht immer genau genug setzt Thalheimer auf die Gesten und Posen. Einige geraten allzu verkunstet, und dennoch sind sie nötig, denn was diese Inszenierung so schaurig schön macht, ist die große Eisigkeit, die von dem großen Abstand zwischen den konvulsivischen Körpern und dem monorhythmisch gesprochenen Text verstärkt wird. Christine hält sich an die Steinwand gepresst, und der Vater steht hilflos mit verschränkten Armen vor seiner Tochter, die ihm schon immer entglitten war. Der Stillstand, der in der Luft liegt, ist hier nicht das Glück des Moments, sondern die Unfähigkeit, zueinanderzukommen.

Die Körper halten die Inszenierung in Bewegung: schleichen sich an, krabbeln an Wänden entlang, katzenhaft geschmeidig wie die diesmal sehr komödiantisch brillierende Fritzi Haberlandt. Thalheimer schiebt die Figuren zu immer neuen Tableaus zusammen, in denen sie wie für den nächsten Modekatalog posieren oder einfach nur dastehen mit hängenden Armen. Der kleine Liebesakt, in dem sich Christine und Fritz gegenseitig gierig und grob die leblosen Beine und Arme um den Körper wickeln, ist nur ein kurzer, heftiger Ausbruch. Sekundenschnell ist dann wieder alles in Lot. Die Lektionen sind gelernt, Christine, die in ihrer Liebe zu Fritz einer Lüge aufgesessen ist, erscheint noch einmal auf der Bühne, fasst sich an die Brust, reißt die Arme hoch. Der Glaube ist verloren, jetzt hat das mehr Scheinen als Sein auch sie erwischt. SIMONE KAEMPF

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