Held sein ist nicht mehr

Ein bettelarmer Außenseiter will Märchenautor werden, quengelt aber nur rum und scheitert komisch und blöd: Heute ist Kou Machida, einer der wildesten, witzigsten, wichtigsten Gegenwartsautoren Japans, zu Gast in der Literaturwerkstatt. Ein Porträt

von SHOKO ASAI

In diesem Artikel möchte ich Ihnen Kou Machida vorstellen. Da ich ihn noch nicht persönlich getroffen habe, kann ich über seine Person nur Vermutungen anstellen. Nach meiner Vorstellung muss er ein wilder Mensch sein, der jenseits von unserem kleinbürgerlichen Alltagsleben schwebt. Er ist nämlich auch ein charismatischer Punk-Rock-Sänger. Weil er aus Osaka kommt, der zweitgrößten Stadt Japans, die für ihre Komödienkultur bekannt ist, denke ich ihn mir auch als einen, der über sich selbst lachen kann. Dies würde jedenfalls seinen wilden, hinreißend komischen Stil erklären, der seine Bücher in Japan so beliebt gemacht hat.

Auch aus der Art, wie sich Kou Machida als Autor darstellt, lässt sich nicht viel über seine Person schlussfolgern. Soweit ich weiß, hat er nichts Konkretes über sich geschrieben, und seine Interviews sind hoffnungslos unehrlich, man kann nur über sie lachen und weiß nach dem Lesen weniger über ihn als vorher. Ich habe sogar einmal ein Interview mit ihm gelesen, in dem er ausschließlich mit „Ja“, „Nein“ und „Ich verstehe Ihre Frage nicht“ geantwortet hat.

Kou Machida, der 1962 geboren ist, sein Debüt 1992 veröffentlichte und, wie ich finde, sehr gut aussieht, ist inzwischen einer der bedeutendsten Autoren der Gegenwart Japans. Sein Beitrag zur Literatur besteht darin, die Dynamik des Erzählens wiederbelebt zu haben. Machida hat bisher verschiedene Gedichte, Erzählungen und Essays veröffentlicht, aber es ist schwierig, seine Werke einzeln vorzustellen. Allein ihre Titel zu übersetzen stellt ein großes Problem dar.

Seine Debütprosa zum Beispiel hat den Titel „Kussun Daikoku“ (1997), was ungefähr so viel wie „Weinender Gott des Reichtums“ bedeuten könnte. „Daikoku“ ist einer der sieben buddhistischen Glücksgötter, dessen Statue der Ich-Erzähler der Prosa eines Tages zufällig findet. Das Wort „Kussun“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck, der nicht im Wörterbuch steht, der aber einen besonderen Klang hat. Ich assoziiere dabei Tränen in den Augen wie etwa bei einer leichten Depression oder beim Zwiebelschneiden. Außerdem ist nicht eindeutig, worauf sich das Wort „Kussun“ überhaupt bezieht, ob auf den Ich-Erzähler oder auf die Skulptur des Daikoku. Ich könnte einen ganzen Aufsatz zur Erklärung dieses Titels schreiben, so kompliziert ist er. Wenn jemand den Mut haben sollte, ein ganzes Buch mit der charakteristischen Diktion Kou Machidas zu übersetzen, ohne dass der Inhalt und die Ästhetik seiner Sätze verloren gingen, würde ich ihn wirklich bewundern. Vermutlich wegen seines musikalischen Hintergrundes hat Kou Machidas Sprache einen besonderen Rhythmus, und seine Sätze sind so lang, dass man sie mit denen von Kant vergleichen könnte.

Außerdem macht es kaum Sinn, die oft absurden Handlungen seiner Bücher zusammenzufassen. Ich nehme hier sein zweites Prosabuch „Becher für ein Paar“ („Meoto-Jawan“), das 1998 erschien, als Beispiel. Der Grund dafür ist nicht nur, dass es das einzige ist, dessen Titel ich ohne Schwierigkeiten übersetzen kann, sondern auch dass es meiner Meinung nach sein bisher bestes Buch ist. Hier redet ein Ich-Erzähler endlos über sein armes, miserables Leben, was sehr witzig wirkt. Ein bettelarmer Außenseiter, der nicht in ein vernünftiges Berufsleben hineinfindet, entscheidet sich aus einem unerfindlichen Grund, Märchenautor zu werden. Er quengelt nur vor sich hin. Seine Unfähigkeit zu schreiben rechtfertigt er mit Banalitäten. Alltägliche Kleinigkeiten, die ihn beim Schreiben stören, bestimmen die Handlung so, dass die Vorstellung, ein Märchenerzähler zu sein, zum Produkt seiner Fantasie wird. Irgendwann wirkt der Zauber von Machidas Stil. Man lacht Tränen und ist wie berauscht von der Dynamik seiner Sprache.

Es gibt in Japan seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein traditionelles Genre, den „Ichroman“. Insbesondere in den Zwanzigerjahren beschrieben viele ihr eigenes ausschweifendes und für die damaligen Verhältnisse unmoralisches Leben mit Frauen und Alkohol und weihten ihre Figuren dem unausweichlichen Untergang. In der bunten Mediengesellschaft des heutigen Japan ist es für Autoren schwierig, überhaupt mit einem wilden oder gar „unmoralischen“ Leben aufzufallen, und dazu noch Leser für einen derartigen Roman zu finden; daher ist das Genre eher veraltet. Kou Machida könnte der letzte Ichromanautor sein.

Bei einem gelungenen Ichroman wird das Schicksal des Helden zum Schicksal eines ganzen Zeitalters transzendiert. In diesem Sinne sind Machidas Helden identisch mit den klassischen Helden der Ichromane. Aber die Ästhetik des Verlorenen, in der häufig der Kern eines Ichromans liegt, zeigt sich bei Machidas Helden anders. Dass seine Helden nicht mehr narzisstisch und tragisch, sondern nur komisch und blöd untergehen, spiegelt wohl unsere Zeit wider, in der es unmöglich ist, ein Held zu sein. Dieses Zeitgefühl zieht viele junge, aber auch ältere Leser Japans an, die heutzutage eher selten Bücher lesen.

Shoko Asai, 29, hat Thomas Brussigs Roman „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ ins Japanische übersetzt und promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität über Immanuel KantKou Machida liest heute Abend im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Archipel und Metropole – Lyrik und Prosa aus Japan“ in der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei, 20 Uhr, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg