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Queere Perlen

Perspektiven verrücken, anstatt den Voyeur-Blick zu zelebrieren: Heute startet das – neben den Lesbisch Schwulen Filmtagen – zweite queere Filmfestival „verzaubert“ im Grindel UFA-Palast

von DORO WIESE

Belebt Konkurrenz das Geschäft? Auch diesjährig können LesBiSchwule und Transgenders dieser Frage nachgehen, wenn mit „verzaubert“ das zweite queere Filmfestival in die Hansestadt einzieht.

Bereits ein Blick ins Programm verrät die unterschiedliche Natur der beiden cineastischen Feste: Während sich die Lesbisch Schwulen Filmtage in szenenahen Programmkinos tummelten, weicht „Verzaubert“ abermals auf eine Kinokette aus: Für eine Woche werden ab heute im Grindel UFA-Palast knapp 60 Langfilme und diverse Kurzfilmprogramme gezeigt. Das Kleingedruckte im Programm verrät ebenfalls Ungleichgewichtiges: Viele Filme sind mit dem Hinweis versehen, dass es sich um eine deutsche oder internationale Premiere handelt.

Da „verzaubert“ vom Veranstalter und Filmverleih Rosebud Entertainment für fünf Städte gestaltet wird, hat das Festival gegenüber selbst organisierten Filmfesten deutliche Vorteile. Für Filmschaffende ist es beispielsweise eine attraktive Geschäftsbedingung, ihren Film mehrfach zu zeigen – abgesehen davon, dass mehr Geld im Spiel ist. So finden sich im „verzaubert“-Programm einige Perlen, deren Aufführungsrechte für kleine, unabhängige Filmfeste unmöglich zu ergattern sind.

So haben queere Communities die Gelegenheit, neben neuen Filmen verpasste Highlights zu Gesicht zu bekommen. Dazu zählt der slowenische Guardian of the Frontier, der mithilfe von Entfremdungstechniken das Alltäglichste zur Bedrohung macht. Seine Bildwelten passen sich einer ver-rückten Wahrnehmung an, bei der Wirklichkeit und Phantasie verschwimmen, um subtile sexuelle Gewalt darstellen zu können.

Sehenswert ist auch die erste afrikanische Version von Karmen Geï – eine Carmen, die in Anlehnung an die Opernfigur entwickelt wurde, aber lesbisch ist –, in der senegalesische Rhythmen und Choreografien sowie ein allgegenwärtiger Jazz die Eurozentrik des musikalischen Themas verdrängen.

Ebenfalls kultverdächtig bleibt Britney Baby, One More Time, der auf den Filmtagen frenetisch bejubelt wurde. Hier wird und wirkt ein Travestie-Ebenbild besser als Britney Spears höchstpersönlich.

Für wen hingegen New Wave der Soundtrack zum Leben war, der sollte Gypsy 83 nicht verpassen, denn mit dem Soundtrack von The Cure, Echo & The Bunnymen und Bauhaus kommen die besten Hits der 1980er in die Kinos zurück. Hollywood-Unterhaltung verspricht wiederum der Eröffnungsabend, der mit Frida ein Kultsymbol der Lesbenwelt auf die Leinwand bringt: die mexikanische Malerin Frida Kahlo. Ebenfalls nahe am Kapitol der Filmkunst liegt Far From Heaven, der mit Julianne Moore und Dennis Quaid Starbesetzung aufweist. In dieser Hommage an Douglas Sirk werden die Grenzen von Rassismus und Homophobie in den 1950er Jahren neu erkundet. Der spanische My Mother likes Women erlaubt ein Wiedersehen mit Leonor Watling, die bereits in Almodovars Sprich mit ihr zu sehen war. Es bleibt zu hoffen, dass diesmal der Blick nicht durch männliche Voyeure vermittelt ist.

Preisgekrönt sind The Magdalene Sisters sowie All About My Father. Letzterer Film bekam auf der Berlinale die queere Auszeichnung namens Teddy, möglicherweise aufgrund seiner faszinierenden Umsetzung des Kernstücks queerer Theorie –der Entkoppelung von sex und gender –, indem er dem Leben des real-existierenden Gender-benders Esben Benestad aka Esther Pirelli nachgeht. The Magdalene Sisters zeichnet die unmenschlichen und frauenverachtenden Bedingungen nach, denen „gefallene Mädchen“ im irischen Kloster des Magdalenenordens bis 1996 ausgesetzt waren. Für sein Engagement erhielt der Film in Venedig den Preis als bester Spielfilm und läuft aufgrund seines Beitrags zur Frauengeschichte im Programm.

Frida, 4.12., 20.30 Uhr. Karmen Geï, 5.12., 16 Uhr. Guardian of the Frontier, 5.12., 20.30 Uhr. Britney Baby, One More Time, 5.12., 22.45 Uhr. Gypsy 83, 7.12., 18.15 Uhr. Far From Heaven, 7.12., 20.30 Uhr. The Magdalene Sisters, 9.12., 20.30 Uhr. All About My Father, 11.12., 16 Uhr. My Mother likes Women, 11.12., 20.30 Uhr.

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