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Das Phantom einer heroischen Politik

Unter Pariser Intellektuellen machen die „neuen Reaktionäre“ von sich reden, Autoren und Theoretiker wie Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy. Sie arbeiten sich ab am Feindbild 1968 – und ernten dafür nun auch Kritik

Bislang gab es im intellektuellen Paris die – mit viel Ruhm alternden – „neuen Philosophen“. Und die ebenfalls nicht mehr ganz taufrischen Theoretiker der „neuen sozialen Bewegungen“. Seit diesem Herbst kommt eine neue Kategorie hinzu: die „neuen Reaktionäre“. Zu Letzteren sollen ganz unterschiedliche Leute gehören – von den seit Jahrzehnten aktiven intellektuellen Betroffenheitsexperten Finkielkraut, Glucksmann und Bernard-Henri Lévy über die relativ neuen französischen Erfolgsautoren Houellebecq und Dantec bis hin zu dem konservativen Kulturminister Luc Ferry.

Erfunden wurden die nouveaux réactionnaires im Oktober. Zuerst in der Monatszeitung Le Monde diplomatique, dann in einem Büchlein des Pariser Politologen und Ideengeschichtlers Daniel Lindenberg („Le rappel à l’ordre. Enquête sur les nouveaux réactionnaires“ [„Ordnungsruf. Untersuchung über die neuen Reaktionäre“], Editions Seuil, 94 Seiten, 10,50 Euro.). Den Kritikern zufolge zeigt die ideologische Strömung, die (noch) keine politische Bewegung sei und auch (noch) keine Chefs habe, längst auffallende Gemeinsamkeiten. Dazu zählen sie hartnäckige Ressentiments gegen den Mai 68 und gegen die Menschenrechtsbewegung, eine „Islamophobie“ sowie den Rückgriff auf konservative und autoritäre Muster und Vordenker. „Im Hintergrund lauert“, so der Politologe Lindenberg, „das Phantom einer heroischen Politik, von der Geschichte der Nationen und von der Repräsentation des Volkes durch ein Individuum.“

Individuell haben einzelne „neue Reaktionäre“ sofort zurückgeschlagen. So teilte der Philosoph Finkielkraut beleidigt mit, er habe „Lust, nach Australien auszuwandern“. Jetzt wehren sich die neuen Reaktionäre kollektiv. In einem Pamphlet, das im Wochenmagazin Express erscheint und das die Autoren unbescheiden „Manifest für ein freies Denken“ nennen, schimpfen sie die Kritik an sich „stalinistische Denunziation“ und „monströse Faschisierung“. Nach Ansicht der sieben Autoren des Manifestes (Finkielkraut, Gauchet, Manent, Muray, Taguieff, Trigano und Yonnet) sei „die Wahrheit für manche unerträglich“.

Daniel Lindenberg lehrt politische Wissenschaften an der Universität Paris VIII, ist leitender Mitarbeiter der angesehenen politischen Zeitschrift Esprit und Autor mehrerer Bücher. Er nimmt auch an Strategiedebatten der französischen Sozialdemokratie teil. Laut Herausgeber Rosanvallon gehört sein Buch zu der „intellektuellen Neubegründung der reformerischen Linken“. Lindenberg selbst versteht es nicht als Anklage, sondern als Denkanstoß. Bei der Beschreibung der Symptome der „neuen Reaktion“ geht er ausführlich auf ihr Auftauchen in der Literatur (vor allem bei Houellebecq) ein. Bei der Suche nach den historischen Hintergründen stellt er fest, dass das Phänomen entschieden weiter zurückreicht als der Schock des 21. April, als 20 Prozent der Franzosen den Rechtsextremen Le Pen wählten. Dabei widmet Lindenberg der Wandlung vom republikanisch-laizistischen „französischen Judaismus“ zur „bedingungslosen Verteidigung des Scharonismus“ ein zentrales Kapitel. Zusammenfassend prognostiziert Lindenberg sowohl der „liberalen Rechten“ als auch der „egalitären Linken“ große Herausforderungen. Dazu zählt er den Vormarsch der religiösen Rechten in den USA und den rechten Populismus in Europa. Allmählich melden sich in der Polemik über das kontroverse Büchlein auch Lindenberg-Unterstützer zu Wort. Das grünennnahe Wochenblatt Politis empfiehlt seine Lektüre unbedingt.

In Internet-Diskussionsforen mehren sich derweil Bekenntnisse wie dieses: „Ich bin ein neuer Reaktionär. Und stolz darauf.“

DOROTHEA HAHN

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