piwik no script img

„Auch in die Zukunft schauen“

Trotz unzureichender Aufarbeitung der Massaker durch die indonesischen Nachbarn setzt der osttimoresische Außenminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta auf Aussöhnung – „so schmerzlich das für die Opfer sein mag“

taz: Ein halbes Jahr nach Erlangung der Unabhängigkeit scheint die Unzufriedenheit in Osttimor zu wachsen. Präsident Xanana Gusmao hat das Parlament der Unfähigkeit bezichtigt, über Korruption geklagt und den Rücktritt des Innenministers gefordert. Stimmen Sie mit ihm überein?

José Ramos Horta: Was den Innenminister betrifft, hätte ich einen leiseren Stil bevorzugt. Ich hätte ihm wohl unter vier Augen geraten, einen längeren Urlaub anzutreten. Den Korruptionsvorwurf lasse ich nicht gelten.

Was sind also die Stolpersteine auf dem Entwicklungsweg?

Was wir ganz sicher haben, ist ein Effektivitätsproblem – vor allem in der Verwaltung. Es fehlt einfach an gut ausgebildeten Fachkräften, um Projekte umzusetzen. Die Wirtschaft steht still. Es gibt zu wenig Direktinvestitionen aus dem Ausland, zu viel Arbeitslosigkeit. Wir hoffen, dass wir in zwei bis drei Jahren von unseren Öl- und Gasvorkommen profitieren und in Infrastruktur investieren können.

Infrastruktur, so heißt es, wird derzeit vor allem in der Hauptstadt Dili geschaffen, wo sich die internationale Expat-Szene tummelt. Die Menschen in ländlichen Gegenden dagegen sind mehrheitlich unterernährt und können weder lesen noch schreiben.

Es ist nicht fair, das so darzustellen. Natürlich bleibt in Osttimor, wie in jedem anderen Entwicklungsland, der größte Teil des Kapitals in der Hauptstadt. Die Entwicklung auch in ländlichen Gebieten voranzutreiben, braucht Zeit. Wenn Sie ein Land aufbauen wollen, brauchen Sie einen Regierungssitz, Sie müssen eine Verwaltung aufbauen. Wie wollen Sie das organisieren ohne Hauptstadt? Aber, es ist richtig, wir müssen die ländlichen Gebiete noch stärker beachten.

Ihr Land leidet noch immer unter dem Trauma der indonesischen Besatzung. In Jakarta soll ein Ad-hoc-Tribunal für Gerechtigkeit sorgen. Vor wenigen Tagen wurde Eurico Guterres, der berüchtigte proindonesische Milizenführer, dort zu zehn Jahren Haft verurteilt. Eine gerechte Strafe für den Aufruf zum Massenmord?

Für das Ausmaß der von Guterres und vielen anderen begangenen Verbrechen sind zehn Jahre wirklich glimpflich. Für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit hätte er mindestens 30 Jahre bekommen müssen. Aber wenn wir sehen, dass diese zehn Jahre schon das härteste Urteil waren, muss man das als einen Fortschritt sehen.

Also sind Sie doch zufrieden mit der Rechtsprechung in Jakarta?

Nein, ich bin damit ganz und gar nicht zufrieden. Alarmierend ist, dass nur Osttimoresen verurteilt wurden. Alle hohen indonesischen Militärs, die ja direkt verantwortlich waren für die Gewalttaten zur Zeit des Referendums 1999, laufen frei herum.

Trotz dieser offensichtlichen Versäumnisse haben Sie kürzlich gesagt, Osttimor werde sich im Falle von Jakartas Versagen nicht für ein UN-Tribunal einsetzen. Ist das nicht eine Einladung zum Versagen?

Im Gegenteil. Ich hoffe, dass es Indonesien anspornt, für eine vertrauenswürdige Rechtsprechung zu sorgen. Wir versuchen, Sympathie zu zeigen, damit Indonesien nicht gerade jetzt auch noch die Erniedrigung durch ein UN-Tribunal erfährt. Wenn die Prozesse in Jakarta jedoch zur vollkommenen Farce werden, muss die UNO entscheiden, wie man Gerechtigkeit schafft. Und selbst wenn es kein UN-Tribunal gibt, heißt das nicht, dass es nicht andere Formen von Druck gäbe.

Wie könnten diese anderen Formen der Gerechtigkeit denn aussehen?

Ich will nicht über etwas spekulieren, das in den Händen der UN liegt. Ein internationales Tribunal dient nicht den Interessen Osttimors. Denn wir müssen auch in die Zukunft schauen. Manchmal ist es das Beste, die Vergangenheit dort zu lassen, wo sie ist – so schmerzlich das für die Opfer sein mag. Selbst wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, müssen wir die Kraft haben, nach vorn zu schauen.

INTERVIEW: ANETT KELLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen